Komm süßer Tod

Jetzt ist schon wieder was passiert. Eigentlich könnte man fragen, wann es das nächste Mal passiert. Wieder ist einer unserer Freunde gestorben. Die einen klammern sich an das Leben, die anderen werfen es weg? Und wir sehen es als Außenstehende und gleichzeitig als Betroffene. Haben Zeit investiert, Liebe, immer mal ein paar Euros für einen Tabak oder was anderes. Haben Dinge erlebt, die anderen verborgen bleiben. Und jetzt für immer. Es macht mich sehr traurig. Ich bin traurig. Und wütend. Andererseits war es mir klar, dass diese Art zu leben einen Tribut fordert. Wieder könnte ich mich fragen, wozu? Warum sind mir diese Schicksale nicht egal. Warum berührt es mich? Vor allem, unsere Freunde sterben zu früh. Die Statistik spricht von einer Lebenserwartung von 80 Jahren und dann einer 15%igen Wahrscheinlichkeit sogar 90 Jahre zu werden. Und wieder einer, der nicht mal 60 Jahre erreicht.

60 oder 80 oder 90. Das hilft unserem griechischen Freund nicht mehr. Er wollte sein Ding durchziehen. Auf Schuhe verzichten. Auf feste Wände verzichten. Speisegebote, selbst auferlegt. Es war Teil seiner Persönlichkeit. Ich kenne nicht viele Menschen, die so leben möchten oder so leben können. Vielleicht hat der eine oder andere ihn noch anders erlebt. Seiten, die ich nicht erkannt habe: Für mich war er ein Eremit. Ein orthodoxer Eremit, geboren für die Einsamkeit, die Natur. Und doch lebte er inmitten einer anti-spirituellen Umgebung. Wie kann man in einem Land, wie Deutschland, Eremit sein, habe ich mich gefragt.

Einmal in Israel, habe ich ein griechisches Kloster am Jordan besucht. Zwischen Jericho und Toten Meer. Ich musste an ihn denken und wie gut er da hin gepasst hätte: St. Gerassimo, dem Heiligen, der einen ausgewachsenen Löwen gesund gepflegt hatte. Ich weiß nicht, was die griechische Spiritualität ausmacht. Aber dieser Ort, war meiner Überzeugung nach, sein Platz gewesen. Hätte er dort länger leben können? Wäre er dort glücklicher gewesen? Oder in seiner griechischen Heimat? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass sich Freunde häufig um ihn gekümmert haben. So, wie ich es nicht gekonnt hätte. Letztes Jahr. Vor Corona. Da hatte ich schon Grenzen. Mein eigenes Social Distancing.

Die Nachricht von seinem Tod macht mich traurig. Es wird bestimmt nicht die letzte Todesnachricht bleiben. Aber ich hoffe, dass unsere Freunde bei jedem Tod genauso ins Nachdenken kommen. Was macht das Leben aus? Warum erlischt das Leben? Gibt es nur den Tod oder ist da noch mehr?

Für mich als Christenmensch ist diese letzte Frage geklärt. Aber was ist mit dem Leben? Was ist wirklich ein gutes Leben? Leid und Schmerz und sicher auch der Tod gehören zum Leben. Man kann nichts davon ausklammern. Und doch versuchen wir weder an den Tod noch an Schmerz oder an Leid zu denken. Und dann ist da noch das Sterben. Ängstigen wir uns gar und verdrängen diese Gedanken? Klammern wir uns an das Leben? Vertreiben wir unsere Zeit nicht häufig damit, mehr oder weniger nutzlose Dinge zu erwerben, die keinerlei Ewigkeitswert besitzen? Wie füllen wir unsere Zeit? Was ist sinnfrei, was ist richtig?

Ich bin sicher, unser Freund hat sich auch mit diesen Fragen beschäftigt, wenn er nicht auch sein Versagen und eigentlich auch unser Versagen oder das Versagen der „Gesellschaft“ mit Alkohol ertränken wollte. Wo haben wir versagt und wo habe ich selbst versagt? Gibt es eine Verantwortung? Hat nicht jeder selbst eine Verantwortung? Wo beginnt sie und wo endet sie?

Zum Abschluss möchte ich noch ein schönes Bild zeichnen für unseren Freund. Aus unserem Garten, in dem er sich auch mal kurzfristig Wohnung bereiten wollte, als wir noch den Seidelbast hatten. Frieden….

ειρήνη

שלום