Business as usual

Das neue Jahr hat uns also wieder. Ein jeder wieder in der Mühle, im alten, gleichen Trott. Essen wurde wieder gekocht und geliefert, bzw. abgeholt. Wir „Mitarbeitenden“ machen weiter mit Freude unseren Dienst. Unseren Freunden geht es den Umständen entsprechend… eher schlechter. Zum Glück sind die Preise für Alkohol stabil. Alles andere wird teurer, zum Beispiel Energie. „Wir driften weiter Richtung Abgrund“, würden eher pessimistische Leute sagen.

Doch dazu ist kein Grund. Pessimistisch zu sein. Veränderung ist an sich nichts Schlechtes. Klar, wir alle – mich eingeschlossen – haben die Neigung, alles möglichst lange zu bewahren. Wer weiß, was noch kommt? Aber jetzt weht ein neuer Wind. Aufbruch in die klimaneutrale Endzeit. Egal, was noch alles schief geht, Hauptsache klimaneutral. Unser Land, in dem wir alle nicht nur gut und gerne leben, sondern welches das beste Deutschland ist, das es je gab, verändert sich. Und mit ihm oder ihr oder es verändert sich auch die Stadt Herrenberg. Und das nicht nur wegen der Seuche.

Die Stadt mit ihren Gremien und die Kirchengemeinden und andere caritative Organisationen machen sich echt Gedanken darüber, wie man die Lebensqualität ihrer Einwohner verbessern kann. Keine Frage. Vielleicht geschieht das alles im Hintergrund, wo kein Mensch etwas mitbekommt. Oder nur ein wenig. Und doch. Sie bewegt sich, nein, es bewegt sich etwas:

Zum Beispiel findet vom 5. bis 12. März die Vesperkirche statt. Vesperkirche ToGo sozusagen. Nach vielen Anläufen endlich ein Zeichen dafür, wie sehr das Thema Armut in den Herzen der Menschen Engagement geweckt hat. Herrenberg ist nicht nur bunt. Herrenberg ist engagiert. Ich wünsche mir, dass dies ein richtiger Erfolg wird.

Wir werden am Samstag wieder Vespertaschen in die Schießmauer tragen, versuchen, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Die Lage checken.

Ich mach mir ja Sorgen. Ein lieber Mensch, den ich kenne und sehr mag, geht einfach nicht zum Arzt, um sein Handgelenk behandeln zu lassen. Bestimmt schon drei Wochen lang hängt sein Händchen an seinem dürren Ärmchen. Ich spreche es jedes Mal an, aber er redet es sich schön oder weicht aus. Von wegen keine Krankenversicherung oder sowas. Vielleicht sollte ich ihm deutlicher sagen oder klarmachen, dass er mit diesem Arm keine Bierflasche mehr halten wird. Das wäre doch existenziell.

Angst vor dem Zahnarzt, das kann ich nachvollziehen, auch wenn das genauso blöd ist. Aber Angst vor einem Arzt, der sowas studiert hat, das verstehe ich nicht mehr. Ok, die Medizin hat sich in den letzten zwei Jahren, während der Seuche, nicht wirklich bewährt. Man konnte sich fragen, ob manche dieser Ärzte je etwas gelernt haben, oder ob sie nur noch Pharmavertreter sind. Ja, viele haben das Vertrauen in diese Ärzteschaft auch gänzlich verloren. Zum Glück gibt es auch noch Pragmatiker, die sich zuerst umfassend informieren. Meine Mama hat mir gesagt, ich solle einen großen Bogen um Weißkittel machen.

Bei unseren Freunden bräuchten noch viel mehr ärztliche Betreuung. Von einem anderen höre ich, er hätte Blut gespuckt. Ich kann ihn seit Tagen nicht erreichen. Muss ich mir Sorgen machen? Wieder ein anderer ist eher verwirrter, als üblich und ein anderer will vorbereitet sein, wenn das Ende kommt. Bei anderen faulen die Beine buchstäblich ab. Was sie alle drauf haben, ist die Kunst der Verdrängung. Oder sich einfach immer wieder dicht machen, um ihre Situation nicht reflektieren zu müssen.

Es gibt neue Bewohner. Keiner ist verstorben. Andere sind woanders. Und wieder andere wünschen sich einfach nur, dass jemand kommt, um sie zu retten.

Das kann nur Jesus oder bedingt der Gemeinderat oder der Oberbürgermeister. Bei Jesus weiß ich, er wartet auf den Ruf, der sein Weinen unterbrechen würde über die unerträgliche Situation. Bei den Offiziellen glaube ich ebenfalls an ihren guten Willen. Ob sie auch Mut haben?