Wohnungsnot

Kein reisserischer Titel. Aber: das ist eines unserer Hauptthemen. Es geht uns nicht nur darum, Menschen zu sensibilisieren, dass wir in unserem beschaulichen Herrenberg und im Kreis Böblingen dieses Problem haben, sondern wir möchten auch Menschen, die wir kennen, aus der Obdachlosigkeit, bzw. Wohnungslosigkeit holen, damit sie (wieder) ein menschenwürdiges Leben führen können. Dazu gehört eine eigene Wohnung. Die Notunterkunft sollte immer nur eine temporäre Lösung sein. In Herrenberg ist es leider eine Dauerlösung. Menschen werden hier abgelegt und entsorgt. Positiver ausgedrückt könnte man sagen verwaltet.

Für diese Behalfsbauten wurde eine Baugenehmigung erteilt. Vermutlich wurde auch eine Nutzungsdauer festgelegt. Ist diese überschritten, spart es Kosten. Über wie viele Jahre reden wir? Ist der Schimmel noch nicht flächendeckend? Was sagt die zuständige Bauaufsichtsbehörde? Gibt es eigentlich Pläne oder gar eine Strategie, diesen Menschen Wohnraum zu schaffen? Ich möchte mich gerne täuschen, doch ich bin Realist. Und letzte Woche stand sogar ein Artikel im Amtsblatt, der etwas Hoffnung machte. Ein Hoffnungshaus. Hört sich gut an, aber so wie ich das verstehe, geht es dabei in erster Linie nicht um unsere Freunde, sondern um ein anderes Klientel. Im Artikel stand, dass acht Wohnungen für 40 Personen gebaut würden. Nun, die Schießmauer allein beherbergt schon über 10 Personen. Das Schießtäle wird auch nicht mehr lange von der Stadt genutzt werden, da der Mietvertrag ausläuft. Einfache Mathematik. Vielleicht ist das Thema, speziell unserer Freunde, der Stadt Herrenberg einfach zu komplex. Vielleicht ist es für die Stadt einfach ein lästiges Ärgernis. Oder man möchte schlicht nichts sehen und nichts hören und lieber darüber schweigen.

Warum muss das Thema auf die Agenda der Stadt Herrenberg, des Kreises Böblingen? Es wird immer schlimmer. Die Einschläge kommen näher. Neben den steigenden Mieten, erleben wir steigende Energiepreise. Menschen, die ihre Wohnung noch nicht verloren haben, frieren in ihren Wohnungen, weil heizen zu teuer ist. Geringverdiener, Alleinerziehende oder ältere Menschen und Kinder sind schon jetzt betroffen oder spätestens, wenn die Endabrechnung kommt. Das ist kein Thema nur für Stuttgart oder andere Ballungszentren. Es ist schon hier.

Es gibt kaum bezahlbaren Wohnraum und die Energiepreise steigen. In den Medien findet das Thema Wohnungsnot nicht statt, dafür gibt es andere „wichtige“ Themen. Es geht um Gendersternchen und Rassismus und/oder Rechtsextremismus und so was. Das ist Identitätspolitik, also wie kann ich mich maximal diskriminiert fühlen. Daneben findet Pandemie statt und natürlich Klima. Für jeden etwas.

Dabei ist Klima oder Klimaschutz eigentlich ein Zustand, eine Art mystische Verklärung, eine Sehnsucht, eine Hoffnung, dass wir Menschen, die Menschheit, das Ende der Welt bestimmen und aufhalten könnten.

Statt Bildern aus Bergamo (die doch eigentlich aus Lampedusa waren), Google zeigt es, benutzt man bei Klima Bilder von rauchenden Industrieanlagen, Überschwemmungen, Müllhalden, Eisbären und so weiter, um Kinder und Erwachsene emotional zu binden.

Eine heile Welt schaffen. Und jeder (Schüler) kann daran mitarbeiten. Es ist aber nicht nur eine Veranstaltung von pubertierenden, wohlstandsgesättigten (oder wohlstandsverwahrlosten) Kindern. Es bedient auch die Besserverdienenden emotional. Es ist so schick, zu signalisieren, dass man das Klima schützt. Man benutzt das Verb „achtsam“ inflationär. Idealerweise fährt man ein E-Auto oder E-Bike oder Roller. Das produziert ja gar kein CO2, denn der Strom kommt ja aus der Steckdose. Und nicht alle Busse im ÖPNV, die mit Öko-Strom fahren, brennen in den Depots. Stimmt es, dass Tübingen Brücken beheizt? Ist Klimaschutz ist asozial?

Die Energiepreise. Sehr aktuell. Der Markt reagiert. Mehr Nachfrage bedeuten höhere Preise. Strom wird ja gehandelt. Wie an der Börse.

Ob Energie 30% teurer wird oder 50% ist doch egal. Höhere Benzinpreise bedeuten weniger Verkehr auf der Straße. Vorfahrt für Besserverdienende, für Leistungsträger. Steigende Energiepreise bedeuten steigende Steuereinnahmen. Everyone’s a winner, baby.

Dass steigende Energiepreise aber auch die steigende Lebensmittelpreise und eine allgemeine Preissteigerung und steigende Armut bedeuten, entzieht sich der einfachen Logik. CO2 Abgabe ist doch gut. Nie hinterfragen. Denke an die Klimaziele. Einige besonders schlaue Leute überlegen ernsthaft, ob man nicht Energiekontingente einführen sollte. Am besten gekoppelt mit einem Social Scoring System. Von China lernen heißt siegen lernen.

Könnte es sein, dass diese Entwicklung nicht bemerkt wird? Denn über Geld redet man nicht, man hat es. Wie viele Menschen haben keinen Strom, weil er abgestellt wurde? Es scheint, als sei es einem Teil der Gesellschaft egal, dass viele Menschen gerade so über die Runden kommen. Die Medien haben andere Themen. Wir leben in unseren Blasen und kommen da nur heraus, wenn sie selbst in irgendeiner Weise betroffen sind. Solange sind wir trotzdem gute Menschen, wenngleich ein bisschen egoistisch. Doch das ist kein Problem in dieser Gesellschaft. Geiz ist so geil, wenn man hat: Wir leben in einer endsolidarisierten Gesellschaft.

Was stimmt mit uns nicht? Warum sind wir nicht einfach auch reich?

Auf dem emotionalen Triggerlevel ist das Klima also ganz vorne. Klima, das war doch der kleine Eisbär. Nein, nicht die Tigerente.

Wir können wirklich helfen, diese Schöpfung zu bewahren. Man darf sie nicht schutzlos dem Markt überlassen. Aber das Klima retten? Ich bin kritisch, ich frage mich, welche Lobby, welche mediale Macht hinter diesen angeblich engagierten Jugendlichen und Kindern, wie Greta Thunberg oder Luisa Neubauer steht. Marketing vom Feinsten. Ich konnte diese Bambi-Masche noch nie leiden.

Ohne die Panik-Medien würden sich die Menschen echte Gedanken machen, wie zum Beispiel, warum Bayern München, die in der Champions League spielen, sich von Gladbach im Pokal abschlachten lässt. Oder was Promis, wie Heidi Klum wirklich bewegt, wenn sie sich als Zombie verkleidet und an einem blutigen Arm lutscht. Mit Klima kann man immer punkten, denn die Welt geht unter. Es braucht diese nie endenden Spiele. Brot und Spiele. Panik. Entspannung. Und nocheinmal von vorn.

Ohne die produzierten Themen würden sich die Menschen vielleicht mehr um ihre Kinder oder ihre Mitmenschen kümmern. Würden ihre Mütter im Pflegeheim besuchen oder den Nachbarn im Krankenhaus.

Heiko Westerwelle – gar nicht so dumm – benutzte einmal den Begriff der spätrömischen Dekadenz. Das wirkliche Leben. Die Wirklichkeit um einen herum wahrnehmen, echte Gefühle, richtige Menschen und nicht diese künstlichen Produktionen, fälschlicherweise auch als Realität bezeichnet, die wir im Fernsehen oder in Hochglanzmagazinen konsumieren. Warum so fern? Warum ist alles so fragil? Welche Grundlagen hat unser Leben? Meine kenne ich.

Hier geht es letzen Endes um Geld. Nicht dieses Kleingeld. Es geht um riesige Summen, Milliarden um genauer zu sein, die man kanalisieren kann, egal, welches Thema gerade in ist. Mit dem Label Klima kann man, ohne je etwas für „das Klima“ tun zu müssen, Geld einsammeln und kanalisieren. Mit dem Label Armut hingegen, geht das eher nicht. Man ekelt sich vor Armut. Oder, um es kurz zu sagen: Armut hopp, Klima top.

Wenn ich jetzt also Armut und Klima in einen Kontext setze, dann begehe ich willentlich Ketzerei, denn dann bin ich ja offensichtlich ein Klima-Leugner. Ich ignoriere auch dieses arme Eisbär-Baby und seine Mama am Nordpol. Die armen Tiere. Sie sterben, wenn man JETZT nichts tut. Dabei sollte eigentlich jeder wissen, dass dieses JETZT ein psychologischer Verkaufstrick ist. Emotion. Angst. Funktioniert immer. Man erschleicht sich Akzeptanz für Maßnahmen. In diesem Fall Verteuerung oder Verknappung. Sei kein Ketzer!

Und die armen Armen sollen halt was anderes tun. Die Mittelschicht, die früher auch einmal gearbeitet hat, vor HomeOffice, ist es nach wie vor gewohnt, zu funktionieren. Sie erwartet, dass alles geregelt ist. Man glaubt den Medien, man glaubt der Politik. Schließlich hat es ja funktioniert mit dem Wohlstand. Warum soll das jetzt falsch sein? Und ändern kann man doch eh nichts.

Ich bekam einen Anruf, mittags, bei der Arbeit, wo mir Markus seine Situation schilderte. Verzweifelt klang er. Er sucht eine Wohnung. Er ist obdachlos. Da wir noch keine Wohnungen haben, oder wenigstens Zimmer in einer WG, die wir vermitteln könnten,rief ich bei der Stadt Herrenberg an und fragte, was wir für diesen Mann tun können.

Leider gab es keine befriedigende Auskunft. Ich würde so gerne etwas positives zurückmelden. Aber die Zuständigkeit muss zuerst geklärt werden.

Herrenbergs Notunterkünfte sind begrenzt und eigentlich nicht zu vermitteln. Ich kann die Stadt verstehen, wenn sie dort niemand einquartieren will. Ein Wohnungsloser ist zudem erst einmal ein Kostenfaktor. Jede Gemeinde versucht, Kosten zu vermeiden. Verständlich. Der Kreis sagt vermutlich, wir haben kein Budget, dafür ist die Gemeinde zuständig. Und das Land sagt, geht uns gar nichts an. Der Bund gibt das Geld der Steuerzahler sowieso anderweitig aus.

Wenn man das Problem ganzheitlich betrachtet, ist jeder Wohnsitzlose ein gesamtgesellschaftliches Problem. Man sollte sich Modelle überlegen, wie man Gemeinden belohnt, wenn sie Wohnraum für Menschen zur Verfügung stellen. Letzendlich bezahlt ja jeder Steuern und wenn diese verwendet würden, um ein gesellschaftliches Problem zu lösen, dann sind die Steuern richtig eingesetzt. Denn fehlender Wohnraum betrifft alle Menschen: Familien, Rentner, Geringverdiener, Leistungsempfänger, Berufstätige.

Wir brauchen mehr sozialen Wohnungsbau. Doch leider wird sich da kurzfristig zumindest nichts tun, befürchte ich. Vor allem nicht, wenn dieses Thema ausgeklammert wird.

Die Stadt ist auch nur ein Unternehmen. Sie muss sich mit Buchhaltung auseinandersetzen. Vielleicht fehlt einfach der Posten für diese Randgruppen. Es wird Geld kosten. Wird im Gemeinderat über dieses Thema auch diskutiert oder beraten? Wie kann man die Wohnungsnot lindern? Wie kann man neue Wege gehen? Will man neue Wege gehen?

Wir machen uns Gedanken. Wir kennen die Situation unserer Freunde und das Umfeld. Unser Engagement darf und soll sich nicht darauf beschränken, warme Mahlzeiten zu verteilen und seelsorgerisch tätig zu sein. Wir würden gerne etwas in Herrenberg leisten, wozu die Stadt bislang nicht fähig ist. Wir arbeiten an einer Konzeption, die diese Menschen, speziell in der Schießmauer und Schießtäle, den wirklichen Brennpunkten, ganzheitlich betreut. Einige Menschen, die wir kennengelernt haben, brauchen mehr Betreuung, andere weniger. Wir glauben wir haben ein Konzept, das diese Menschen erreicht. Wenn es in Herrenberg Visionen braucht, wir haben sie. Ach ja klar, nachhaltig und tragfähig sind sie auch. Die Mitmachstadt, da sind wir gerne dabei. Wir brauchen Räumlichkeiten.

Es mag beim einen mehr Überzeugungsarbeit nötig sein, beim anderen weniger, sie dazu zubringen, etwas an ihrer Situation zu ändern. Das wird nicht über Nacht oder auf einen Schlag möglich sein. Aber wenn keine Perspektiven seitens der Stadt eröffnet werden, dann wird sich gar nichts ändern. Es wird eher schlimmer. Die Überzeugungsarbeit bei den Verantwortlichen der Stadt stelle ich mir schwieriger vor. Da muss der Gemeinderat miteinbezogen werden. Kommunalpolitiker sind hier gefragt. Ich bin kein Kommunalpolitiker. Nur jemand, der den Finger immer wieder in die Wunde legt. Der Stachel im Fleisch der Wohlgefälligkeit. Bürger sind hier gefragt. Mitmenschen.