Wasserraben

Das heißt nicht Wasserraben, sondern Wassergraben. Doch Wasserraben. Hin und her. Wassergraben. Also Wasser und Graben. Nein. Und dann hab ich es aufgegeben. Ich wusste, ich hatte recht. Nicht nur das, ich war der Erwachsene, er war das Kind. Ob es zum Spiel wurde, wer Sieger bleibt, oder ob es da um etwas Grundsätzliches ging, habe ich nicht weiter herausfinden wollen. Aus irgendwelchen Gründen gab ich es auf, obwohl ich es besser wusste. Ich habe mein Wissen nicht aufgezwungen. Zwar haben wir es danach auch noch ein paar Mal versucht, aber ohne Nachdruck. Heute kann ich sagen, es war ein Knackpunkt. Alles war danach anders. Kann sich keiner ausdenken.

Zu unbedeutend? Es war doch nur ein Spiel. Oder doch nicht? Zwanzig Jahre später, 30 Jahre später. Es heißt immer noch Wasserraben. Es geht nicht mehr um Wasserraben, aber jeder gute Ratschlag wird kritisch aufgenommen und meist verworfen. Alles, was Erwachsene gutgemeint zu sagen haben, wird meist verworfen. Ich bin sicher, er erkennt gute Werte, er hat vieles verinnerlicht. Er ist ein ילד טוב, Jeled tov, ein guter Junge. Warum diese Erfahrungen so sein müssen? Ich weiß es nicht. Er sieht die Welt kritisch, denn nichts ist, wie es scheint. Die Anordnung, nie zu hinterfragen ist für ihn so grottenfalsch, es widersprucht seinem Naturell. Gut so. So viel Fakenews. So viel Lüge.

Und was dir als Normalität verkauft wird ist so zu hinterfragen, wie sonst noch etwas. Sie habe sogar eigene Faktenchecker, die die Narrative stützen helfen. Sie sind im Besitz der Wahrheit.

Aber die Eltern? Sie wollen doch nur sein Bestes. Warum muss diese Distanz, diese Kritik sein? Warum ist kein Ausstieg aus dieser Mißtrauenshölle möglich? Dabei könnte jeder ihrer Ratschläge überprüft werden und würde sich mehrheitlich als richtig darstellen. Für Eltern gibt es leider keine Faktenchecker. So ist sein Leben geprägt von seinen Erfahrungen für die er selbst verantwortlich ist. Erfahrungen und Entscheidungen. Bedingen die Entscheidungen die Erfahrungen oder umgekehrt? Ei oder Henne? Es ist genau das, was ich bei unseren Freunden auch sehe.

Wo ist euer Platz in der Gesellschaft? Warum habt ihr euch an den Rand stellen lassen? Glaubt ihr wirklich, keiner will euch? Und wenn ihr versagt habt, hier und da, wen juckt es? Morgen ist ein neuer Tag. Ich erwarte immer noch das Wunder, dass jemand euch eine Chance geben wird. Ich erwarte, dass ihr die ganze Negativität, die der Feind euch eingeimpft hat, loslasst. Der Feind? Sehr oft ist der Feind eine Stimme, die euch klein hält. Doch ich frage, wollt ihr eine Chance? Dann fragt auch danach. Macht euch nicht unsichtbar, taubstumm oder sowas. Dieses in sich verschlossen sein, dieses ich bin nichts wert, dieser Mangel an Schönheit, und immer diese Regenbogengefühle. Es sind einfach nur Emotionen. High sein, frei sein. Dann in die Depression fallen. Ich halt das nicht aus. Das Super-Ego. Alles dreht sich notwendigerweise um dich. Diese Art der Wahrnehmung der unmittelbaren Gefühlswelt, die so sehr fragil ist, erkennt trotz aller Selbstbeschäftigung die vielen offensichtlichen Fehler im System.

In diese Gesellschaft passt doch eh keiner rein, denkst du vielleicht, und die, die reinpassen, haben aufgegeben. Denkst du vielleicht. Aber es gibt keine Struktur, keinen Plan, der ausgeheckt wurde, um dich niederzudrücken. Ja klar, es gibt Hürden, Stolpersteine, Blockaden, wo man hinschaut. Und du hast immer Konkurrenz in der Welt: auf dem Wohnungsmarkt, auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Heiratsmarkt, und so weiter.

Und dann diese Medienwelt. Glotze, Filme, Facebook, Instagram, Telegram. Du bist kein Influencer. Du wirst geinfluenced, beeinflusst und manipuliert. Musik und Filme, die diese, deine innere Zerissenheit thematisieren, reflektieren und amplifizieren. Drogen, die einerseits helfen, diese Welt zu ertragen, andererseits die Welt unerträglich machen. Und dann noch zu viele Dinge falsch gemacht. Ja, es ist alles kompliziert. Das Entscheidende jedoch ist: dir fehlt das Fundament. Das Erleben, das von viel zu vielen Emotionen gesteuert und manipuliert wird. Ein Körper der den ständigen Mangel erfährt. Im Geist herrscht ein endloser Kampf. Du hast kein Fundament. Irgendwo verloren gegangen.

Warum machst du immer weiter? Tag für Tag. Monat für Monat. Das Leben ist nichts weiter als Selbstverteidigung ohne richtigen Angreifer. Der Feind dominiert im Innern.

Du erfindest Strategien, die dein Überleben sichern, und richtest dich doch dabei zugrunde. Du findest immer eine Rechtferigung, warum du weiter Drogen konsumierst oder Pillen. Oder trinkst. Die Entscheidung, weiterzumachen ist die letzte eigene Entscheidung. Nein, mir kann keiner was unterjubeln, das ich nicht will. Es ist der Glaube, im Recht zu sein, auf jeden Fall nicht manipulierbar. Es werden immer weiter Entscheidungen getroffen, die für jeden rational denkenden Menschen falsch sind. Manchmal grotesk falsch. Davon unbeeindruckt werden sie weiter getroffen. Wasserraben. Ich bin eigentlich unsichtbar. Ich höre auch nichts, sehe nichts, was ich nicht will.

Doch nichts bleibt ohne Konsequenzen. Und das ist der Grund für deine Situation, meine Situation, jedermanns Situation. Warum sitzt der Mörder im Gefängnis? Warum sitzt der Politiker im Parlament? Warum ist mein Kontostand schon Mitte des Monats im Soll und dein Kontostand geht nie ins Minus? Immer noch diese individuellen Entscheidungen. Frei getroffen, genötigt, gezwungenermassen, zufällig. Oh, wie ich diesen Individualismus hasse. Blaue Haare. Wage es nicht, das zu kritisieren, oder zu hinterfragen. How dare you!

All diese Entscheidungen, die getroffen wurden sind die eigenen Entscheidungen. Das läßt sich sagen. Sie sind nicht vom Vater befohlen worden. Und obwohl der Vater nicht heilig ist, meint er es gut. Die Rebellion ist deine und die Wahrheit ist, du kannst auf Dauer nicht bestehen. Wie kann der Weg heraus aus dem Kampf ohne einen strengen Vater gelingen? Der Sohn weiß es nicht. Der Vater weiß es noch nicht. Stilles Leiden. Stummes Leiden. Es ist nicht seine Entscheidung, gegen einen Baum zu fahren. Es ist nicht seine Entscheidung, die Schule zu vernachlässigen. Es ist nicht seine Entscheidung, Drogen zu nehmen. Es ist seine Entscheidung, nicht auf Vater zu hören. Alles im Griff.

Irgendwann ist es nicht mehr deine Entscheidung. Dann bist du im System und andere entscheiden für dich. Mal werden die Zügel angezogen. Mal sind sie etwas lockerer. Du bist das Mündel. Sie sind dein Vormund. Schließlich gibt es Regeln, an die sich alle halten müssen. Theoretisch.

Statt diesen Kampf also immer weiter zu führen, ein Kampf, den du nicht gewinnen kannst, solltest du einfach kapitulieren. Sagt auch Gerry.

Denn ganz ehrlich, genau vor einem Jahr war die Situation genauso, wie sie heute ist. Nichts ist besser. Du bist ein Jahr älter. Deine Gesundheit ist schlechter. Das einzig Positive ist, du hast überlebt. Neue Hürden? Ganz sicher. Die Rechtschaffenen sind immer noch rechtschaffen. Und in einem Jahr? Was willst du erreichen? Was wirst du erreichen?

Wie heißt es wirklich? Wasserraben?