Utopia

Heute muss ich eine Zusammenfasung der letzten Wochen machen. Es war nicht leicht, nach diesem schönen Urlaub, zurück in dieses Leben, zurück zur Arbeit, zurück an die Front zu gehen, und es ist auch schwer, meine Eindrücke zu schildern, die ich wahrnehme.

In der Zwischenzeit gab es wieder unsere Samstags-MAHL-Zeit. Auch Anna ist zurück und kocht für unsere Freunde. Wir durften unterwegs sein und das Essen verteilen.

Außerdem war ich in der Woche, in der es keine Mahlzeit gab, in der Schießmauer und verteilte Wurst-Brötchen.  Danach gab es unsere Vespertaschen. Und letzten Samstag war Brunch-Godi. 1G, 2G, 3G? Später mehr…

Es fühlt sich alles immer noch an, wie in einer anderen Welt. Konfrontation. Kulturschock. Aber Läbba geht weiter.

Es war noch Sommer, jetzt, 1. Oktober ist es Herbst. Check. Das Gehalt vom Jobcenter, die Transferleistungen waren überwiesen. Check. Heute vermutlich auch. Doch darüber habe ich schon früher berichtet. Die Stimmungen, die ich wahrnehme, sind andere, als wenn der Monat sich dem Ende naht. Der Spruch: „Warum ist am Ende des Geldes noch so viel Monat übrig?“ ist hier und vermutlich überall, wo Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigungsverhältnisse das Leben beeinflussen, mehr als treffend.

Eigentlich sollte die Geldspritze ein Grund zur Freude sein, ein Anlass, wieder etwas mehr Hoffnung zu spüren. Aber er füllt nur Löcher auf, Löcher die nicht, die nie gestopft werden können. Tristesse. Hoffnungslosigkeit. Traurigkeit. So diametral meinen Gefühlen entgegen, die durch unseren Urlaub, einer erlebten echten Freiheit, einem tiefen Frieden, und vor allem Hoffnung geprägt sind. Waren? Das nächste Gehalt steht wieder an… Und doch ist Hoffnung das Motiv für das Ende dieses Sommers und den beginnenden Herbst.

Trotz zweier Trauerfälle, die ich bewältigen muss, einmal im Familienkreis und ein weiterer im Freundeskreis, war diese Hoffnung nicht geschmälert. „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!“, war eine Botschaft bei der Beisetzung meines Freundes. „Ihr Leben war von Gott geküsst.“, war das Resumee bei der Beisetzung meiner Mutter.

Im Hauskreis sprachen wir über ein erfülltes Leben, und stellten uns der Frage, ob wir unsere Leben als erfüllt bezeichnen würden. Was wir als lebenssatt bezeichnen können. Ich für meinen Teil kann nur sagen, dass ich zufrieden bin, nicht hungrig, aber ich würde gerne noch leben.

Es ist nicht einfach, diese Verluste zu verarbeiten. Es ist schwer. Es bleibt eine Lücke und wir erfahren jetzt erst, was wir nicht mehr tun können. Nicht mehr gemeinsam diskutieren, streiten, lachen, beten, trösten, weinen, hoffen. Trotzdem bleibt die Gewissheit, dass mein Freund und dass meine Mutter ihren Erlöser sehen werden. Und wir, die wir glauben.

Keine Ahnung, wie das technisch, praktisch oder real sein wird. Die Bibel bleibt recht vage und offen und ehrlich gesagt, suche ich nicht nach diesen Bibelstellen in denen der Tod oder das Jenseits erwähnt ist.

Trotzdem ermahnen solche Ereignisse mich und andere, das Ende nicht auszublenden oder zu verdrängen. Es wird jeden Menschen ereilen. Sollte man Angst davor haben? Ich glaube nicht.

Ich glaube an ein ewiges Leben nach dem irdischen Leben. Es wird etwas Großes sein. Größer als dieses Leben. Und trotzdem liebe ich das Leben sehr. Ich liebe es mit Menschen zusammen zu kommen. Wenn ich jetzt diesen theologischen Ansatz verlasse, so wünsche ich doch gerade für meine Freunde ein Leben mit Lebensqualität. Ein erfülltes Leben. Ein Leben ohne zu bedauern.


Natürlich passieren Dinge. Es gibt Gewalt. Es gibt Kriege und andere Katastrophen. Es gibt Krankheiten. Fast jeder sehnt sich nach einem ruhigen Leben.

Wir haben uns eingerichtet in unseren Wohnungen und Häusern, wir haben uns Wohlstand erarbeitet oder ererbt. Wir haben eine Arbeit, die uns ein Einkommen sichert. Auch ein kleines Vermögen über das wir oder andere unseren Wert definieren.

Vermögen, Titel, gesellschaftliche Anerkennung. Und nichts wollen wir verlieren. Wir arbeiten dafür, wir verteidigen es, wir krallen uns zuweilen daran. Es vermittelt uns eine Sicherheit.

Zwischengedanken

Da der Mensch aber gut sein will, wenn er eine christliche oder humanistische Ausbildung genossen hat, finden Ersatzhandlungen statt. Man beginnt die Täuschungen zu ignorieren, oder zu verdrängen. Kognitive Dissonanzen verursachen Schmerzen. Eine tolle Szene sieht man in John Carpenters „Sie leben“, als das junge Mädchen, das mit ihrem Vater öffentlich-rechtliches Fernsehen schaut, von einem Sender gestört wird, der aufklären will. Dass sie beide mit vielen anderen auf einem Platz für Obdachlose in Zelten und Hütten leben, ignorieren sie, solange der Sender diese hirnlosen Sendungen bringt. „Daddy, schalt das ab!“ Dies ist das bischen Sicherheit, das sie sich behalten wollen.

„Wie hast du dir heute deinen Platz in dieser überbevölkerten Welt verdient?“, fragt der kranke Unternehmer seine Kinder. Das ist Utopia.

Und bevor jetzt, lieber Leser, ein allzu düsteres Bild entsteht, möchte ich von unserem Brunch erzählen, der dank des guten Wetters auf der Wiese im Freien stattfinden konnte. Es war ein wunderschönes Erlebnis. Das Essen war gut, nein, es war hochwertig und gut. Angefangen mit Kaffee und Kuchen, belegten Brotschnittchen, dann ein überbackener Auflauf mit italienischen Namen, verschiedene Salaten, Nachtisch. Die Vorbereitung war grandios, (Danke an Liliane), Beate holte das Essen ab, Wolfgang und Elisabeth am Tresen, Elke, Gerry und ich am Spültisch. Elisabeth durfte sich heute um Beziehung kümmern. Ich habe ein Talent, zu kritisch zu sein. Echt mein Problem. Aber diese Themen kommen auf und dann bin ich, wie ich bin.

Micha hielt eine schöne Andacht. Er erzählte von dem Mann am Teich, der 38 Jahre lang herumlag und hoffte, das jemand ihm hilft. Jesus fragte ihn, ob er gesund sein will und dem Mann fiel nichts anderes ein, als zu antworten, es gäbe niemanden, der ihm hilft. Diese Auslegung fand ich bemerkenswert, denn ich hab nie daran gedacht, was der Mann geantwortet hat, nämlich dass er andere für seine Situation verantwortlich gemacht haben könnte. Denn so sind wir auch oft. Micha konnte diese Haltung gut auch auf uns selbst und auf unsere Gäste projezieren. Und Jesus sagt einfach steh auf und geh. Unsere Haltung ist oft, wenn wir etwas neues machen sollen, das klappt doch nie. Und darum tun wir es nicht. Micha wollte dadurch sagen, wenn wir es nicht wagen, dann kann Jesus uns nicht tragen. Wir scheitern zuerst an unserer Einstellung. Ich fand das sehr wervoll.

Der Brunch war erst nach 14:00 Uhr zuende. Ziemlich lang. Und wir waren auch ziemlich lang noch beschäftigt, alles aufzuräumen. Trotz der vielen Arbeit war es das wert.

Jetzt hoffe ich auf einen goldenen Oktober oder auch eine globale Erwärmung, damit wir den nächsten Brunch wieder im Freien stattfinden lassen können.

Aber zuerst kommt die Samstags-MAHL-Zeit. Wieder Monatsanfang. Wieder Hamsterrad. Wieder weinte Jesus.