The world of orange

Karottengemüse, Kartoffelsalat und gebratenes Hähnchen. Das war das Essen der Samstags-MAHL-Zeit am 30.Oktober 2021. Wir kamen zur Schießmauer und brachten das Essen von der Metzgerei Gerullis. Natürlich bringen wir nicht nur das Essen, sondern wir versuchen, etwas Zeit mitzubringen und uns immer wieder mit unseren Freunden zu unterhalten. Was sie bewegt, wo der Schuh drückt.

Wir klingeln, wir treten ein, es ist halb eins, es ist wirklich nicht besonders schön, das Ambiente. Doch die Stimmung, die ich wahrnehme, ist angenehm. Die Gerüche, eine Mischung aus Tabakrauch und etwas anderem und unserem mitgebrachten Essen.

Ich wünschte mir, dass die Sonne durch ein großes Fenster scheinen würde, oder wenn nicht, dass es eine angenehme Beleuchtung gäbe. Nicht zu grell. Einfach, um etwas Wärme zu suggerieren. Ich wünschte mir, es wäre frischer Kaffeegeruch, der zu riechen wäre. Ich wünschte mir, der Tisch hätte eine Tischdecke und wäre länger, damit jeder Platz hätte. Vielleicht würde sogar Musik aus dem Radio nicht störend wirken.

Aber es ist anders. Freunde waren heute hier. Unter sich brauchen unsere Freunde keine Fassade aufrecht erhalten. Die Zerbrochenheit ist so offensichtlich. Das Unperfekte hat in seiner Unperfektion etwas  Anmutiges. Echt. Man muss dies erkennen wollen.

Der kleine Tisch war voll mit Tabakbeuteln, mit Aschenbechern, mit Flaschen, Gläsern. Zigaretten qualmen. Es ist abgedunkelt, das Licht der Neonbeleuchtung ist ungastlich.

Das Gehalt war überwiesen. Ich dachte an Marius Müller-Westernhagen und seinen Song: Freiheit: Ist das einzige das fehlt. Schwierige Tage stehen bevor. Egal ob Alkohol oder Fentanyl oder anderer Dreck: Es muss Druck abgebaut werden. Ich verstehe es, aber ich finde es nicht gut. Es gibt definitiv andere Möglichkeiten, nein es gibt bessere Möglichkeiten, sich ein Wohlgefühl zu holen.

So etwas kann man lernen, oder man macht es einfach und lernt es durch das Tun. Ich gehe ins Gym. Kostet mich ein paar Euro. Ok, ich habe auch ein Gehalt, ein anderes Leben. Aber wenn ich eine Stunde, zwei Stunden ins Gym gehe und dann vielleicht noch in die Sauna, dann bin ich so high von Endorphinen und bin dankbar für einen Körper, der das noch mitmacht. Ich danke natürlich Gott,  meinem Schöpfer. Wem sonst?

Aber ich bin es, der spürt, dass er am Leben ist. Und wenn ich mir danach noch Elektrolyte gebe, dann ist alles gut. Auch gut: Etwas gutes essen. Salzkartoffeln und Quark. 700 Kalorien. Aufwand minimal. Es ist mein Essen. Es ist nicht industriell gefertigt, kommt aus dem Boden, kommt von der Kuh, oder statt Quark, mache ich Ananas-Curry. Dann ist es sogar vegetarisch oder vegan. Ich werde satt.

Das kann mir keine Droge geben, das gibt mir auch der Alkohol nicht. Das gibt mir auch ein Netflix oder Prime nicht. Ausgelutscht. Dann bin ich wieder allein mit mir. Alles schon wiederholt. Nichts Neues im Westen.

Der Hunger ist noch da. Der Durst. Die Leere. Das Loch in meinem Innern, das sich füllen will und nie voll wird. Es ist keine kluge Strategie, sich zuzudröhnen. Es ist keine kluge Entscheidung, sich von Lieferanten abhängig zu machen. Egal, ob sie Koks oder Heroin oder Startrek oder Oettinger liefern.

Wir leben in und mit diesem Mangel. Auch du, auch ich. Das gute Leben. Das zufriedene Leben. Das glückliche Leben. Dazu braucht man Freunde. Oder einen Ehepartner, besser einen Freund und Ehepartner. Wir brauchen andere Menschen, ein Gegenüber. Idealerweise einen Menschen, der uns erkennt. In unserer ganzen Bedürftigkeit und nicht nur den Schein, die Fassade. Man kann nicht alles haben. Manches wird einem geschenkt. Manches muss man sich erarbeiten. Schritt für Schritt.

Für uns ist es vielleicht leichter, unsere Fassade aufrecht zu erhalten. Wir kehren in unsere gestylten Häuser zurück. Wir haben uns ein Ambiente geschaffen, in dem wir uns wohlfühlen können. Dieses Leben ist so weit weg und ist doch eigentlich nur marginal anders. Was ist der Unterschied? Und wie könnten wir das Leben unserer Freunde positiv beeinflussen?

Wir haben Vertrauen. Sie kommen zu uns mit ihren kleinen und auch mit großen Problemen. Wir helfen mit unseren bescheidenen Mitteln. Ich wünschte, wir hätten die Möglichkeit, richtige Angebote zu machen. Bessere Hilfen, sie in ihren eigenen Wohnungen zu betreuen, mit ihren Drogenproblemen, mit ihren finanziellen Problemen, mit Arbeit, damit dieser Kreislauf endlich durchbrochen wird.

Erkenntnisreicher Samstag. Noch während wir da waren, wurde gegessen. Wir durften für sie beten.

Karotten sind auch orange.