Social Media

Heute früh war Armin online und wünschte Lisa und mir in whatsapp einen schönen Tag. Ein Lebenszeichen! Hab mich echt gefreut.

Gestern hat sich Thomas beschwert, dass er sich in Telegram vollgespamt fühlt. Ich wollte ihn aufklären, dass RealWorldNews ein spezieller Kanal ist, der spezielle Dinge thematisiert, und ganz andere Informationen bringt, als es z.B. ein SWR kann. Auch mal ein Bibelwort zur Erbauung, mal ein Musikvideo oder ein lustiges Video. Bilder.

Sie können so aussagekräftig sein. Außerdem könne er den Kanal stummschalten.

Ich hätte Thomas gerne erklärt, was ich damit bezwecke und warum ich bestimmte Themen in Facebook oder Twitter gar nicht finde, weil sie zensiert sind. So wie in den offiziellen Medien. Und ein guter Kanal ist wie eine Pinwand mit Zetteln, nützlichen Informationen oder Links auf Seiten, die man meist wieder vergißt.

Mein Gefühl ist weiter, dass sehr einseitig berichtet wird, als ob es eine verborgene politische Agenda gibt. Offiziell bestimmt nicht. Das mediale Establishment besitzt die Meinungshoheit und vor allem die Deutungshoheit über bestimmte Themen. Ich glaube auch, es wird nichts mehr kontrovers diskutiert. Ich vermisse Vielfalt. Diversität. Irgendwie DDR-Medien. Alles ist erlaubt, aber nicht alles darf gesagt werden. Politisch korrekt muss es sein. Natürlich findet keine Zensur statt. Und wenn, dann ist es eine Verschwörungstheorie.

Gefühle statt Fakten.

Ich würde Thomas gerne sagen, wie wichtig es ist, ab und an ein starkes Wort aus der Bibel zu lesen. Stattdessen schickt er mir Bibelverse. Wie cool ist das?

Ich weiß, vielen hängt Corona zum Hals raus. Man will keine zusätzlichen Informationen. Man will der offiziellen Geschichte der Pandemie glauben. Manche empfinden keinen medialen Druck. Man läßt sich impfen. In anderen Ländern bekommt man Donuts oder Burger oder auch Joints für den Jab, bei uns auch Pieks genannt. Bei uns wird man dafür moralisch erhöht. Umgekehrt ist man mindestens unsolidarisch.

Ich möchte vor allem zum Nachdenken anregen. Ich weiß, meine Freunde sind suchtkrank. Jedenfalls ein Teil davon. Sucht hat eine schwache Seite, etwas weinerliches. Der Katzenjammer zeugt davon. Der Körper sehnt sich nach Stoff, die Synapsen rotieren. Und Sucht heißt, dem körperlichen Mangel nichts entgegensetzen zu können. Bei manchen wirken Scham und Ekel als verstärkende Elemente und der Verstand hat keine Autorität. Die Illusion eines freien Willens. Das Ego spielt hier ein perfides Doppelspiel.

Ich bin sooo schwach, höre ich häufig. Das ist die Bambi-Strategie. Gleichzeitig höre ich Absichtsbekundungen, jaa, dann und dann höre ich auf. Ganz bestimmt. Das ist die übliche Winken und Lächeln – Taktik.

Dieser Wille ist nicht stark genug. Darum dauern Drogenkarrieren Jahre oder Jahrzehnte. Und was einst als etwas Heroisches anfing, die erste Zigarette, der erste Joint, der erste Druck, der erste Rausch, eine Art Selbstinitiation, ist jetzt nach dieser Zeit in den meisten Fällen ein Haufen (sorry…) Kot, den man nicht anschauen und nicht wegschaffen will. Und kann.

Kognitive Dissonanz. Was ich auf jeden Fall möchte, ist Ehrlichkeit und ich denke, dass unsere Freunde ehrliche Menschen sind. Aber ihre Situation, ihr Leben ist alles andere als geordnet und definitiv prekär: Keine eigene Wohnung, keine Arbeit, keine Beziehung, keine Familie. Krankheit und Sucht. Und genau hier bräuchte es entschiedene Ehrlichkeit. Die eigenen Probleme zu erkennen, zu benennen und dann Schritte zu einer Lösung beschreiten. Nicht nur Lippenbekenntnisse. Erkenntnis, Reue und schließlich Buße, so würde ich es im christlichen Kontext ausdrücken wollen.

Die Ehrlichkeit zu uns selbst. Das ist doch auch für uns ein Thema. Das betrifft jeden. Krankheit und Sucht resultieren häufig durch falsches Verhalten, sei es Essen, seien es Extremsportarten und so weiter. Sozial verträglicher vielleicht. Aber auch wir müssen mindestens zwei Mal pro Jahr in den Urlaub fliegen, brauchen unbedingt genau dieses elektrische Auto. Vernunft kontra Bedürfnisbefriedigung.

Ich möchte, dass unsere Freunde Teil einer größeren Gemeinschaft sind. Nicht nur Teil ihrer kleinen Suchtgemeinde. Ich wollte, sie würden uns Nicht-Süchtige nicht als fremd ansehen. Ich wollte, sie würden erkennen, dass sie nicht weniger oder mehr sind, als wir, mit Abituren und akademischen Titeln und beruflichen Erfolgen. Mit unseren Partnerschaften und Familien. Mit unseren Eigenheimen und Zweitwagen. Mit unserer Überheblichkeit. Mit unserer Härte. Dass die Mehrheitsgesellschaft für sie nicht Bedrohung ist, sondern wie sie, einfach nur verloren, nur zerbrochen und aus christlicher Sicht von Gott getrennt und der Rettung bedürfen.

Social Media ist für mich – und ich hoffe, auch für unsere Freunde – ein Versuch, eine Möglichkeit, trotz der tatsächlichen und zusätzlichen sozialen Distanz Nähe herzustellen.

Thomas hat mir dann aber doch nicht den Kanal gekündigt. Am Freitag schickt er mir Fotos von seinem letzten Rentenbescheid. Ich solle doch mal drüber schauen und ob ich einen guten Anwalt kennen würde. Beim Überfliegen denke ich mir, ein Anwalt würde nicht helfen. Aber ich fragte zurück, ob ich die Bilder und die Fragen an Beate weiterleiten dürfe, denn sie kennt sich als Diakonin mit bestimmten rechtlichen Dingen aus.

Über Pfingsten ging wenig, aber heute hat sich Beate zurückgemeldet und meine Einschätzung geteilt. Thomas solle doch trotzdem den Bescheid am Samstag zum Brunch to go mitbringen. Ach ja, Brunch to-go. Da schreib ich vielleicht nächstens etwas darüber.