Nach dem Brunch…

ist vor dem Brunch. Es sind schon ein paar Tage vergangen seit dem letzten Brunch. Die Zeit vergeht, wie im Flug. Und obwohl der letzte Brunch ein guter war, fand ich keine Zeit, darüber zu schreiben. Wert wäre er es allemal gewesen.

Unser Brunchteam kam wie immer zusammen und bereitete alles vor. Kaffee kochen, Tische und Stühle arrangieren. Die Musikanlage und den Beamer einstellen. Ulrike hatte eine urige Deko mit Geweihen, Tannenzapfen und Blättern mitgebracht.

Es folgte unser übliches Gebet, in dem wir um Segen für den Brunch baten, während die ersten Gäste eintrafen. Es war zu früh, aber es wäre unchristlich, unsere Gäste in der Kälte warten zu lassen. Ich finde es auch gut, dass unsere Gäste unsere Liebe in den Gebeten erkennen könnten, und wie wir ticken.

Als es um 11 Uhr los ging, waren alle froh, ihren Kaffee und auch Kuchen in Empfang nehmen zu dürfen. Wir setzten uns zu unseren Gästen, begrüßten sie und hörten, was sie uns zu erzählen hatten. Sie sprechen oftmals über ihre Probleme, ihre Situation und wir hören ihnen zu.

Immer mehr Gäste trafen ein und waren froh, ein warmes Plätzchen gefunden zu haben. Manche unserer Gäste haben ein straffes Programm. Schon fast durchstrukturiert. Sie treffen sich mit anderen und gehen dann gemeinsam zu den angebotenen Veranstaltungen.

Unser Brunch-Godi hat etwas, sonst würden sie nicht von so weit herkommen. Ich glaube, es hat etwas mit unserer Art zu tun, wie wir mit ihnen ins Gespräch kommen wollen. Wir sind nicht aufdringlich, obwohl unsere Botschaft dringlich ist. Wir möchten nicht mit Worten und Zitaten aus der Bibel glänzen oder beeindrucken. Wir sind eher an ihnen persönlich interessiert. Sie sind unsere Nächsten.

Siegfried ging auf die Bühne und spielte ein paar Lieder mit seiner Gitarre und sang vom „Spieler“, aber auch John Denvers „I will hoim ins Schwobaland“, bei dem wir den Refrain mitsingen konnten.

Phillip hielt eine Andacht über den Wert jedes Einzelnen und wie sehr wir von unserem Vater geliebt sind, wie wertvoll wir sind. Er sprach über die Frau, die ihr ganzes Haus durchsuchte, um ihr „Wertvolles“ zu finden, es schließlich fand und jedem freudig erzählen musste, wie glücklich sie war, es gefunden zu haben.

Die Gummibärchen Päckchen, die er verteilte, durften wir auch einem anderen wertvollen Menschen weitergeben.

Thilo spielte dann klassische Weihnachtslieder, die wir ebenfalls mitsingen konnten. Schließlich waren wir schon irgendwie in der Vorweihnachtszeit. Das Essen wurde ausgegeben.

Ein aufmerksamer Beobachter konnte schon sehen, dass manche unserer Gäste angespannt sind. Ihre persönlichen Geschichten spielen immer wieder auch mit hinein. Ich musste eine Frau trösten, die mir weinend erzählte, dass sie hier im Haus wegen ihrer Behinderung beleidigt wurde. Ich konnte ihr meinen Trost nur mitteilen, dass es mir leid tat und sie doch trotzdem, sehen sollte, dass diese Anspannung bei manchen Menschen auch weniger schöne Reaktionen hervor bringt. Es hat sie nicht wirklich getröstet. Ein anderer erzählte mir, wie sehr er sich an jemanden anstösst, und was es mit ihm macht. Auch ihm konnte ich nur sagen, dass wir das bedauern, aber das es eine gewisse „Normalität“ sei, die wir, wenn wir es mitbekommen würden, ansprechen. Es gibt gewisse Konflikte, die wir nicht auflösen können. Ein Bewohner der Schießmauer verbat sich irgendwelche frommen Sprüche meinerseits. Ich mache keine frommen Sprüche. Ich sehe den Konflikt und fühle sehr gut nach, wie sich das anfühlt. Gleichwohl weiß ich, dass Jesus diese Konflikte auflösen würde.

Der Brunch endete mit einem Gebet und dem Segen. Und wir Mitarbeiter räumten die Tische ab, spülten das Geschirr, stellten die Stühle auf. Alles zurück auf Null. Alle Spuren beseitigen. Nein, nicht wirklich. Wir bereiteten nur den Saal für die nächste Veranstaltung vor.

Wir wurden an Richards Worte erinnert, dass wir uns mehr um unsere Freunde in der Schießmauer und Schießtäle kümmern müssen und sie direkt einladen müssen, da sie es sonst vielleicht nicht schaffen, zu uns in die Kalkofenstrasse zu kommen. Sie brauchen diese persönlichen Einladungen direkt vor unserem Brunch. Besonders auch jetzt in dieser kalten Jahreszeit.

Ich würde gerne einfach öfter vorbeigehen. Im Sommer fiel es mir viel leichter. Nicht wegen der Partystimmung, die ich zum Teil erlebte. Immer wieder gab es Konflikte, was normal ist. Auch jetzt gibt es sie wieder. Es sind vermeidbare Konflikte und ich möchte nicht zwischen den Fronten stehen. Ich urteile nicht. Es gibt keine Seite, nur die Mitte, ich muss neutral sein. Nicht, dass es mich nicht schmerzt, zu hören, wie es dem Einzelnen geht, in welcher Notlage die Leute sind. Doch ohne den Jesus-Weg, ohne Hoffnung gibt es keinen Ausweg. Ohne den Frieden im eigenen Herzen, gibt es keinen Ausweg. Gar nichts geht ohne die Liebe Gottes.

In unserem Leben durften wir dieses Wunder erfahren, wie Jesus das Leben umkrempelt. Heute frage ich mich, wie man ohne Jesus leben und überleben kann? Es geht über alle menschliche Kraft. Die Menschen brauchen Hilfe, mehr als nur Grundversorgung über Hartz IV oder Bürgergeld. Was kann die kleine Stadt Herrenberg mit ihren Klimazielen leisten? Was können wir leisten? Es ist eigentlich unleistbar. Vor allem ist es notwendig, dass sich jeder seiner eigenen Situation stellt. Zu erkennen, dass keiner kommt, einen ans Händchen nimmt und alle Probleme löst. Egal, welche Probleme es sind, Alkohol, Drogen oder was auch immer.

Warum stellt man sich nicht einfach der eigenen Situation? Ist das eine normale Depression? Die Epedemie dieser Gesellschaft, unter der so viele leiden, aber nicht so abgestürzt sind? Manchmal scheint es mir so. Es bringt nichts, sich zu schlagen, oder zu schreien, oder zu weinen. Keiner, der dich hört. Das ist überhaupt das Problem dieser Zeit: Keiner hört zu, keiner kann wirklich zuhören. Das ist so frustrierend.

In einer idealen Welt, einem idealen Herrenberg, würden die Menschen richtige Zuhörer haben, die nicht in ihrem inneren Monolog gefangen wären, alles besser wissend. Sie wären emphatisch. Sie würden nicht urteilen oder richten.

So ein Zuhörer war Jesus. Im Kleinen versuchen wir diese Fähigkeit zu entwickeln. Es wird nie genug sein. Wir hören Klagen, die gar nicht enden wollen. Ich wünschte mir, ich würde positive Dinge hören, freudige Dinge, aber das ist vermutlich eher selten möglich. So was, wie ich habe einen Job, ich habe eine Wohnung gefunden. Ich habe mit Drogen aufgehört, ich trinke keinen Alkohol mehr. Ich gehe auf Therapie. Wohnungen und Jobs sind limitiert. Die Entscheidungen treffen andere. Drogen, Alkohol und Therapie sind Entscheidungen, die unsere Freunde treffen könnten. (Innerer Monolog: sollten, müssten)

Am Samstag ist dann schon wieder Brunch. Der traditionelle Weihnachtsbrunch. Wir freuen uns wieder auf unsere Gäste und werden alles tun, um eine schöne Veranstaltung zu bekommen.