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Freitag war ein Abend, an dem ich etwas lernen durfte. Am Nachmittag war Rene bei mir, damit ich etwas mit dem Handy checke. Eigentlich nur Kontakte, die man nicht löschen konnte. Rumprobiert und dann die alte SIM entfernt. Dual SIM Handy. Problem gelöst.

Lisa kam von der Arbeit und kochte Thunfisch à la cuisine, Sahnesoße, Zitronensaft, Senf, Pfeffer. Ein paar Nudeln. Wir aßen zusammen. Danach fuhr ich Rene in die Schießmauer. Beate hatte sich auch angekündigt, war aber noch nicht da gewesen, kam jedoch später noch und brachte Lebensmittel.

Ich fuhr wieder nach Hause, Gym war heute kein Thema mehr. Und sowieso HomeOffice. Könnte länger dauern. Lisa hatte ein Vegan-Grillen. Auch nicht mein Ding. War eher was mit ihren Frauen.

Ich hatte noch etwas im Home Office zu erledigen. Der Restore würde länger dauern. Da das Wetter etwas freundlicher zu werden schien, entschied ich spontan, unsere Freunde zu besuchen. Kopfhörer auf, Playlist ausgewählt und Richtung Bahnhof, auf der Suche nach unseren Freunden. Wenn ich wieder zurück wäre, könnte ich meine Arbeit abschließen.

An der Schießmauer war nix los. Alle ausgeflogen? Ich telefonierte mit Harald. Im Hintergrund hörte ich Stimmen. Da es im Hintergrund etwas lauter klang, fragte ich ihn, wo er sei und er sagte es mir. Er teilte mir auch seinen Impfstatus mit und wann er seinen zweiten Shot bekommt. Das ist neu. Warum erzählen alle Leute, ob sie Pfizer-Boy oder Astra-Girl oder Bionics oder J&J sind? Wen interessiert das? Egal. Ich sagte ihm, dass mich das nicht interessiert.

Aber ich sagte, ich komme vorbei. Von der Schießmauer war es nur ein kurzes Stück. Unterwegs traf ich Dietmar, der auf einem Mäuerchen saß und setzte mich zu ihm. Ich fragte, wie es so geht und was seine Wohnungssuche mache. Er erzählte, dass er sich die Marienstraße nochmal angeschaut hat. Dass da doch viele Wohnungen frei seien. Aber dass der Landkreis Böblingen zuständig wäre. Es stimmt, in dem Haus gibt es viele freie Wohnungen. Wir, von der Samstags-MAHL-Zeit, bringen auch hierher warme Mahlzeiten.

Dietmar wohnt in der Schießmauer, aber er ist eigentlich immer in Herrenberg unterwegs. Er versucht, dem Ärger aus dem Weg zu gehen, er erzählt mir, dass die Polizei fast jeden Tag in der Schießmauer kommt, weil irgendwer wieder eskaliert.

Dietmar hat früher beim Daimler gearbeitet. Irgendwas kommissioniert. Er sagte, er hätte sich als Kommissionierer beworben. Ich entgegnete, er solle doch bei seinen Bewerbungen angeben, dass das Arbeitsamt seine Arbeitsaufnahme fördern würde, vielleicht bis zu 60% des Lohnes dem Arbeitgeber zuzahlt. Eine Win-Win-Win Situation für ihn, dass er eine Arbeit bekommt, für den Arbeitgeber, dass dieser mit geringeren Kosten einen Arbeitnehmer einstellen kann und für das Arbeitsamt, dass ein Leistungsempfänger wieder Arbeitslosenbeiträge einzahlt. Vielleicht auf Dauer. Dietmar wäre für eine derartige Arbeit geeignet.

Dann verabschiedete ich mich, um zu unseren Freunden zu kommen. Wenige Minuten später traf ich eine illustre Runde. Ich nahm die Kopfhörer ab, grüßte in die Runde, bevor einzelne mich grüßten.

Dann wurde ich direkt konfrontiert. Eine Frau forderte ein Gespräch mit mir. Sie sagte, sie hätte das Gefühl, ich würde sie ablehnen und wollte das mit mir klären. Ich würde mir eine Meinung über sie auf Grund von Aussagen Dritter gebildet haben. Ich sagte, das wäre nicht richtig. Ich habe nichts gegen sie und ich lehne niemanden ab. Allerdings habe ich sie bei ein oder zwei Gelegenheiten erlebt und das wären zwar negative Eindrücke gewesen, aber ich würde niemanden verurteilen. Sie wollte mir das nicht direkt glauben und wollte ihr Gefühl bestätigt bekommen. Mit aller Ruhe und Klarheit konnte ich dann mit ihr ein Gespräch führen. Ich versuchte, ihr klar zu machen, dass ich meine Meinung nach dem, was ich erlebt hatte, gebildet habe und dass ich niemanden aufgrund von Geschwätz oder Hörensagen einschätze. Ich erzählte ihr, wie ich es erlebt habe. Ich sagte ihr, dass jeder Mensch eine Würde habe und Grenzen und dass niemand das Recht habe, diese Grenzen zu überschreiten oder die Würde des anderen zu verletzen.

Wir kamen dann auf das Thema Sucht zu sprechen. Wenn sie keine Drogen nehmen würde oder Alkohol oder beides, sagte ich ihr, wäre sie bestimmt eine gute Frau. Dann wäre so etwas nie passiert. Dass ganz viele Probleme aus der Sucht  bzw. aus dem Konsum von Drogen herrühren.

Sie sagte, sie sei eine sehr emotionale Person. Ich erwiderte, dass Emotionen viel zu willkürlich seien, und spontan irgendwelche Emotionen auslösen. Emotionen aber etwas ganz anderes als Gefühle seien. Gefühle sind echt, sie haben eine längere Dauer, sie entwickeln sich, wohingegen Emotionen einfach so passieren. Ohne Basis. Einfach Knopf drücken.

Wir redeten noch über dieses und jenes und irgendwann sagte sie, jetzt müssen wir aufhören. Ich sei zu direkt. Ich würde Dinge ansprechen, die sie nicht reflektieren will.

Natürlich nicht wörtlich, aber schon so in etwa. Zuvor haben wir uns ausgesprochen, etwas geklärt, unsere Standpunkte definiert. Wir umarmten uns.

Was mir echt gefallen hat, war, dass sie es ansprechen musste. Es war ihr wichtig, mich zu konfrontieren. Und ja, ich wollte distanziert sein. Ich wollte keinen direkten Kontakt mehr mit ihr. Mein Rückzug war Gewalt. Ich hätte ihr genauso gut eine reinhauen können (was ich nie tun würde). Angriff und Rückzug sind beides Akte der Gewalt.

Nun war ich froh, dass das geklärt war. Sie widmete sich ihrem Handy und ich mich den anderen. Sabine und Björn, Sascha, Pierre.

Pierre zeigte mir Papiere vom Arbeitsamt, die Leistungen zurückfordern. Ich las es durch und sagte ihm, dass er unbedingt Widerspruch einlegen müsse, da er begründen konnte, zu dieser Zeit im Krankenhaus gewesen zu sein. Tatsächlich hatte er einen riesigen Tumor am Hals und war im Krankenhaus. Die Frage, die sich mir stellte, war die: Warum kommen solche unnötigen Briefe zustande? Hätte er nicht früher schon auf so etwas reagieren können? Warum passiert das zumeist Leuten aus einem Suchtumfeld? Wie kommt es, dass es diesen Menschen passiert, dass alles entgleitet? Sogar die Lebensgrundlage? Und warum können Behörden nicht so flexibel reagieren und mit anderen Einrichtungen zusammenarbeiten, dass diese Menschen nicht alles verlieren? Nur weil sie süchtig sind? Ja, es gibt Hilfen. Aber meine Kritik geht dahin, dass seit den Siebziger Jahren eine massive Drogenwelle in unser Land schwappte und 50 Jahre später immer noch mit Methoden gearbeitet wird, als wäre das ein gänzlich neues Problem. Die Hilfen setzen zu spät und zu zögerlich ein. Als hätte man eine Schablone, die passen muss. Vielleicht sollte ich Pierre nochmal treffen und mit ihm zusammen den Widerspruch schreiben und gleich beim Jobcenter einwerfen, um zu verhindern, dass es noch mehr verrutscht.

Rene war ein stiller Beobachter. Harald nuckelte an seiner Weinflasche. Alle tranken Bier. Er trank Wein. Ich sollte ein Weinglas oder einen Weinbecher besorgen. Damit das wenigstens Stil hätte.

Der Ort, wo sich alle trafen, gewährleistete eine gewisse Privatsphäre. Und ich muss sagen, ich fühlte mich sehr wohl. Am Bahnhof ist alles zu zentral. Zu viele Blicke. Am Kaufland reicht der Platz nicht aus. Dieser Platz schien mir geeignet, aber ganz sicher werden sie auch hier früher oder später wieder vertrieben. Wenn Alkohol fließt, zuviel Alkohol, dann gibt es wieder Drama. Irgendeiner flippt immer aus. Früher oder später. Apropos später. Mein Restore wartete noch, also ging ich heim. Immer noch froh über das klärende Gespräch.

Und heute war Samstags-MAHL-Zeit. Es gab Rindergeschnetzeltes, Spätzle und Salat von Wolfgang Gerullis, bzw. Anna. Von Lilly und Beate gab es Extra Mohn-Joghurt mit Obstsalat. So kam ich noch einmal in den Genuss, zur Schießmauer zu fahren. Lisa verteilte heute die Essen und ich kümmerte mich um Armin (Umarmung), dem ich ein Handy mitbrachte. Das ALDI Starterpaket hatte ich gestern schon besorgt.

Die SIM Karten Registrierung scheiterte bei der Authentifizierung. Entweder hingen wir in der Telefon-Warteschleife oder die Videoauthentifizierung hing. Also schlugen wir vor, dass Armin den finalen Schritt der Authentifizierung in der ALDI Filiale machen solle. Wäre ja nicht so weit.

Lisa unterhielt sich unterdessen mit den Leuten, die vor Ort waren. Sie besuchte Dimi und Alex und konnte live erleben, wie mit Saschas neuer Waschmaschine gewaschen wurde.

Sie war sehr geduldig. Ich war immer noch mit Armin zugange und sie wollte mir keinen Druck machen, obwohl wir bald danach schon wieder zum Grillen eingeladen waren.

Auch heute, bei unseren Freunden in Gültstein, kam unsere – nein, nicht Tätigkeit – Liebe zu unseren Freunden zur Sprache. Was können wir anderes sagen, als dass es uns bereichert. Dass unsere Besuche nichts anderes als Nächstenliebe ist. Oder wie einer meiner Lieblingsautoren, Dallas Willard, es begrifflich fixiert hat: Divine Conspiracy, göttliche Verschwörung. Übrigens sehr lesenswert. Alles von ihm. (Klick auf das Bild zum Buch.)