Meine Zuversicht

Lisa und ich streiteten neulich Sonntag bei unserem Spaziergang darüber, ob das Wort Zuversicht immer positiv besetzt ist.

Ich gab schließlich nach. Lisa und der Duden wollen es positiv besetzt sehen. Ich sah es ein. Auch ich würde das Wort nicht im Hinblick auf eine negative Erwartung benutzen wollen. Eigentlich benutze ich dieses Wort überhaupt nicht. Auch nicht Zuflucht. Es sind so alte Worte. Worte, die benutzt wurden, als die Menschen vielleicht noch Hoffnung hatten. Oder einen Glauben. So wie es in Psalmen besungen wurde. Ich liebe die Worte und die Lyrik in den Psalmen von David. Er hatte es drauf.

Ich benutze eher ein Hilfswort, verwandt mit Zuversicht, aber ohne die positive Erwartung: Ich bin mir sicher, dass … und so.

Wie würde es klingen, wenn ich sagen würde: „Ich bin zuversichtlich, dass sich die Situation unserer Freunde, nicht ändern wird.“ Es sind solche Tage, wenn ich mit einer grausamen Wahrheit konfrontiert werde, wo ich verzweifelt die Hoffnung suche, die Zuversicht. Eigentlich fehlt mir die positive Erwartung.

Zurückblickend war mein Sommer ein guter Sommer. Nicht nur traf ich Menschen, die diesen endlosen Sommer ebenso geniessen konnten, die mit mir über das Leben philosophierten, über unseren gemeinsamen Glauben, unsere Hoffnungen oder auch unsere Ängste, und trotzdem oder gerade deswegen nach Wegen suchen, die vielen Aufgaben und Herausforderungen positiv anzugehen. Besonders in meiner innigsten Beziehung, meiner Ehe, hat sich vieles verändert. Viele gute Gespräche, gute Gemeinschaft. Während dieser Spaziergänge konnte ich vieles Negatives vergessen. Und danke auch für das Tanzen. Ich tan(z)kte soviel neue Energie.

Jim Morrison, der Sänger der Doors, über den es ein Buch gibt, mit dem Titel „Keiner kommt hier lebend raus“ hatte eine negative Erwartung. Seine Anti-These zur Zuversicht. Jim Morrison war einmal populär. Er ist kein Justin Bieber, aber die Industrie verdient immer noch Geld mit seinem Gesicht und seinem frühen, sinnlosen Tod. Jim Morrison starb 1971, so jung im Alter von 27 Jahren. Und obwohl ich schon lange nichts mehr von Stars und Starlets halte, die uns eine immer kränkere  Unterhaltungsindustrie als Idole verkaufen will, verknüpfe ich diese Musik auch mit positiven Erinnerungen und Gefühlen. Und ja, längst bin ich dieser Art Musik und „Kultur“ entwachsen. Die Rebellion war gar keine. „Riders on the Storm“ ist eine kitschige Ausrede dafür, keine Verantwortung für sich und sein Leben zu übernehmen und in einer Art Opferrolle die böse Gesellschaft, die Eltern und Lehrer für die eigene Misere verantwortlich zu machen. Viele kennen die Musik und den Namen der Doors und Jim Morrison – im Gegensatz zu den vielen namenlosen Opfern in irgendwelchen 5-Zeilern in Polizeiberichten, die an Überdosen und letztendlich Herzversagen gestorben werden.

In der Romantik vieler Drogenkonsumenten meiner Generation erschien es noch erstrebenswert, nach Paris zu seinem Grab zu pilgern. Wir lasen Aldous Huxleys „Doors of Perception“, von dessen Titel die Gruppe ihren Namen ableitete. Pforten der Wahrnehmung. Ein Buch über die Erfahrungen mit halluzinogenen Drogen. Viele der oft jugendlichen Anhänger dieser Musik waren keine ungebildeten Versager, vielleicht trotzdem wohlstandsverwahrlost, also mindestens halbgebildete Versager. Die Musik vermittelte uns ein Gefühl der erhabenen Distanz gegenüber allen Autoritäten. Wir waren angewidert von der Heilen Welt, dem bürgerlichen Mief, es gab niemanden, der uns Dropouts unsere Grenzen aufzeigte. Die Väter waren entweder tot, arbeiteten oder hatten die Familie verlassen. Väterlos wurde einfach alles in Frage gestellt. Man wurde drogensüchtig oder Terrorist oder beides und bezeichnete sich als kritisch. In den Medien wurden Bilder von rennenden napalmverbrannten Kindern gezeigt. Coole GI’s mit Kippe in Mundwinkeln. Es gab niemanden, der einem diese ganze hirnverbrannte Welt erklären konnte. Jeder war beschäftigt mit sich selbst. Geld verdienen, Wirtschaftswunder. Das Trauma einer Kriegsgeneration und ihrer Kinder in der Nachkriegszeit. Irgendwie ahnten wir alle: Nach dem Krieg ist vor dem Krieg.

Vietnam war so weit weg und doch so nah. Die ersten Hippies gingen nach Indien. Die Drogen des goldenen Dreiecks, des Irans, Afghanistans kamen trotzdem oder vielleicht deswegen in unser Land und wurden von jugendlichen Konsumenten zusammen mit der Musik konsumiert. Manche sagen, die CIA hätte Drogen ins Land gebracht und ihre drogensüchtigen Soldaten. Der Markt wurde geschaffen, viele wollten Geld mit Drogen verdienen. Auf der einen Seite. Auf der anderen Seite stellten sich viele einen heroischen Drogen-Tod vor, der dem eines Jim Morrison oder Jimi Hendrix oder Brian Jones oder … in nichts nachstehen würde. Der Produktname Heroin war nicht zufällig so gewählt.

Nur fünf Minuten Beachtung. Ein kleines bischen Aufmerksamkeit. Ein stummer Schrei: Ich bin doch auch da! Die Realität war und ist eine andere. Die Realität ist, wenn man nicht jung und unter erbärmlichen Umständen starb, dann war das Leben mit einer negativen Erwartung vorgezeichnet.

Während andere einfach funktionierten, war man selbst unfähig, ein geordnetes Leben zu leben. Das war vor 50 Jahren so. Und das ist heute immer noch so.

Auch heute sterben Menschen an Drogen und es hat absolut nichts heroisches, cooles. Wann hatte es das je? Jetzt ist es nur noch Business mit dem Elend. Was einst die East-India Company offiziell für die Krone betrieb, erledigen irgendwelche Warlords in Afghanistan, südamerikanische, afrikanische, osteuropäische oder südeuropäische mafiösen Organisationen in deren Auftrag oder sie werden geduldet. Bayer stellte früher legal Heroin her. Ihr Marketingspruch lautete vielleicht auch: safe and effective?

Jetzt gibt es Vertriebsnetze,  Polizeiapparate, Therapeutenheere und dann diese Pharmazeuten und Mediziner und ihre chronischen Suchtpatienten.

So verdienen viele ihr Quant am Elend. Andere Mediziner halten sich raus, weil Sucht uncool ist, oder unprofitabel. Der ROI, Return on Investment, etwa nicht ausreichend? Oder sie sind so ehrlich, dass sie sagen würden, dass ihnen das egal ist. Oder zu anstrengend, denn die Politik hat alles durchreguliert und ihnen die Hilfsmöglichkeiten so weit beschränkt und reglementiert, das manche einfach sagen, das geben sie sich nicht und wollen das den Menschen, die kommen nicht antun.

Viele wollen diese Problematik von anderen Stellen gelöst sehen. Von der Politik in Berlin oder in Brüssel oder von der WHO. Besser nicht. Manche plädieren für ein Ignorieren. Manche für die Freigabe. Man ringt schon um Wege oder darum, alles so zu lassen, wie es ist. Interessengemengelage.

Die nächste Generation Süchtiger wird schon wieder produziert. Sie fangen alle sehr früh an. Zwölf, dreizehn, vierzehn Jahre. Wieder kommen sie mit ihrem Leben nicht klar. Irgendein chemisches Ungleichgewicht? Oder die Herkunft, die junge Menschen zur Droge greifen lässt? Oder ist es die Medizin, sind es Pharmareferenten, die Ärzte, die Menschen krank machen, ihnen ihre Medikamente gegen ADS, Angstzustände, Genderverwirrung und so weiter verabreichen?

Es gibt auch gute Ärzte. Doch warum ist die Pharmaindustrie so derart mächtig? Warum sind Menschen heute kränker, denn je? Warum ist Gesundheit das höchste Gut? Warum laufen Menschen mit Wasserflaschen durch die Gegend? Ich denke, es hängt sehr viel mit Marketing zusammen. Mit wirtschaftlichen Bedingungen. Menschen sind Konsumenten oder Kunden. Da hat sich etwas verselbständigt.

Was hat das mit uns und unseren Freunden zu tun? Ich habe den Eindruck, dass sich nicht nur ihre Störungen, ihre Süchte, ihre Abhängigkeiten verfestigen.

Es bedarf dringender denn je einer professionellen Betreuung, die diese Menschen mit ihren Süchten akzeptiert. Die sie in ihren hoffentlich demnächst gebauten Wohnungen individuell betreut und Hilfestellungen, aller Art anbietet. Die Stadt scheint ja Geld für allen möglichen Schnickschnack zu haben. Aber ihre Süchtigen sind ihnen egal. Es bedarf eines richtigen Plans und nicht nur Experten mit akademischen Titeln. Es braucht qualifizierte Sozialarbeiter, die nicht überreglementiert werden. Konzepte, wie unsere Healing Travels, Wochenendausflüge, die Möglichkeit, zu arbeiten. Man muss das einfach mal angehen, sonst verschlechtert sich die Situation. Ihre Körper waren in schlechtem Zustand vor irgendeiner Behandlung und jetzt scheint es, geht es bergab. Irgendein Rezeptor schreit immer und immerzu: „Gib mir mein Quant!“

Alkohol. Drogen. Medikamente. Legal. Illegal. Sch…

Ich möchte aus meiner „gläubigen“ Sicht einen Aspekt hinzufügen. Viele, die meisten unserer Freunde sehen – wenn sie nicht in ihren Highs durch Alkohol oder Drogen benebelt sind – dass wir ein gutes Leben durch unseren Glauben leben. Unser Glaube ist stärker als die Sucht, stärker als die Depression. Wir lassen uns leiten durch unseren Glauben an Jesus. Wir lesen in der Schrift, welche Zusagen Gott „seinen“ Kindern gibt und vertrauen darauf, weil wir es erleben. Auch wir sind nicht nur durch eine Krise gegangen. Und da gab es keine Zauberfee, die mit ihrem Stab alles heil gemacht hat. Es sind Prozesse des Wachstums. Auch lange, steinige Wege und Phasen des Zweifelns kennen wir. Wir haben Kinder, die vielleicht auch noch gerettet werden müssen, zum Teil in der Sucht stecken oder andersweitig angefochten sind. Wir leben nicht in der Heilen Welt. Was wir aber lernen durften, ist, wie der Feind agiert und wie er uns und unsere Familien attackiert. Können wir immer noch verloren gehen, so wie vielleicht unsere Kinder oder unsere Freunde? Das wird sich zeigen. Killer on the road.

Wir versuchen treu zu sein. Wir kämpfen den Kampf gegen unsichtbare Mächte weiter. Was können wir erwarten? Eine Rettung, eine Erweckung aller unserer Lieben? Es wäre schön, aber ich habe meine Zweifel. Wir dürfen nicht aufgeben, wir müssen weiter machen. Wir müssen in der Liebe bleiben und wir müssen auch demütig bleiben.

Wir dürfen Woche für Woche, Samstag um Samstag unsere Freunde in den Notunterkünften und woanders besuchen. Wir müssen nicht, aber wir tun es. Wir planen zum Teil schon unsere Samstage mit genau diesen Minuten der Begegnung ein. Vielleicht entwickelt sich auch immer wieder ein Gespräch. Wer weiß, wozu das gut ist.

Am Freitag haben wir Lose für eine Tombola verkauft, dessen Erlös zum Beispiel für den Gabenzaun gehen wird. Auch hier haben wir Verantwortung für Menschen übernommen, und wollen mit den Gaben am Gabenzaun ein kleines Zeichen der Hoffnung setzen. Es sind schwierige Zeiten, in denen wir leben. Welche Prüfungen kommen noch? Welche Kämpfe gilt es noch zu bestehen? Und dann der letzte Weg, vielleicht auch ein Kampf, dem Abschied aus dieser Welt. Wie werden wir ihn gehen? Dürfen wir ihn gesund gehen? Was erwartet uns? Werden wir auch zu Stammkunden unserer Pharmareferenten? Werden wir Schmerzen haben? Alles liegt noch vor uns. Bis dahin gilt für uns: Jeder Tag ist ein Geschenk. Ein Privileg. Und genau darum geht es. Wie kommen wir wieder dahin, unser Leben mit Dank anzunehmen, mit Zuversicht, der Erwartung positiver Ereignisse?