Ein kleines Danke

ist jetzt schon mal fällig. Danke an jeden einzelnen Besucher und aufmerksamen Leser meiner Artikel und unserer Webseite. Sie gehören zu dem erlesenen Kreis von Menschen, die offensichtlich an unserer Arbeit interessiert sind, und an den Menschen, denen unsere Arbeit gilt. Vielleicht haben sie sich berühren lassen. Vielleicht haben sie auch die Notwendigkeit erkannt, dass hier etwas geschehen muss.

Herrenberg ist besser und kann das (und wird das auch) zeigen. Wir, von Freunde e.V. wollen dabei mithelfen, dass Menschen wieder in die Mitte der Gesellschaft genommen werden. Wir tun dies aus Liebe zu den Menschen, die wir bislang kennenlernen durften. Für mich ist mein Glaube und Jesu Liebesgebot die Quelle meiner Kraft. Ich möchte, dass keiner zurückgelassen wird, wie das so schön unter Kameraden in der Army gilt. Doch wie kann man das auf diese Gesellschaft übertragen?

Gestern abend radelte ich noch eine kleine Gäu-E-Bike-Tour. Dann kam ich nicht ganz zufällg am Bahnhof an. Ich mache das öfter. Um es vorweg zu nehmen, es hat mich frustriert. Irgendwie wollte ich meinen Augen und Ohren nicht trauen. Für manche scheint das Leben eine einzige Party zu sein. Nur dass diese Party am Bahnhof stattfindet. Wäre eigentlich ganz ok. Menschen feiern einfach mal. Jeder Mensch hat das Recht dazu. Das Wetter war gut, das Leben ist kurz und der Sommer noch kürzer. Aber etwas störte mich: Es gab keinen richtigen Grund. Kein Geburtstag, keine neue Arbeitsstelle, keine Hochzeit. Irgendetwas Reales.

Was mich störte, war meine Beziehung zu diesen Menschen, die ich eigentlich liebe und die in ihrer Situation dieses Ventil brauchen. Diesen Treffpunkt. Diese Mengen an Alkohol und anderem. Es tat mir weh und ich konnte es weder artikulieren, noch helfend eingreifen. Es war zu spät. Mit den meisten wäre eine normale Unterhaltung nicht möglich gewesen. Ich konnte und wollte die Party nicht crashen. Wirklich? Oder ich war zu feige, um mit jedem Einzelnen ins Gespräch zu gehen? Ich stand bei Peter und unterhielt mich ein wenig und sah einfach zu.

Später kam jemand von seiner Arbeit aus Wildberg und gesellte sich zu uns. Wir sprachen über E-Bikes, Fitness, Schulden, Unterhaltszahlungen, den VfB, seine Mädels. Wir kannten uns schon, aber gegenseitig nicht unsere Namen. Der Lärm der anderen geriet in den Hintergrund. Für ein paar kurze Momente spürte ich, dass es ihm um mehr ging. Ich wollte eigentlich Zeit haben, für ein Gespräch, aber aus der Bluetooth Box kamen dann richtig ätzende Technobeats. Es wurde noch lauter. Also verabschiedete ich mich und fuhr mit meinem E-Bike nach Hause. Ich war froh über diese letzte Begegnung. Ich begegnete einem Menschen und nicht einer lauten, alkoholisierten Partymasse. Was ich in vielen Jahren gelernt habe, ist, dass ab einem bestimmten Alkohol- und/oder Drogenpegel ein vernünftiges Gespräch gar nicht möglich ist. Es war Stunden zu spät, oder noch länger.

Ich überlegte, was kann ich in Zukunft anders machen? Ich bin kein Missionar, kein Streetworker. Mich verbindet Beziehung. Auch ich oder einer meiner Söhne könnte hier ebenfalls gestrandet sein. Es ist manches sehr nah. Dabei macht es keinen qualitativen Unterschied, ob es der Bahnhof Herrenberg, der Ballermann auf Mallorca oder Ibiza oder die Strände in Goa sind. Es geht darum, sich abzuschießen. Gestern war es so. Ich kenne es, weil ich jung war und auch mal so verloren.

Amazing Grace, how sweet the sound, that saved a wreck like me. I once was lost, but now I’m found.

Nur sind die Menschen hier keine 15 oder 16 Jahre alt. Sie sind 30, 40, 50 Jahre alt oder älter. Müssten es eigentlich wissen. Die Jungen werden anderswo bespaßt. Träumen ihre jugendlichen Träume, trinken ihren billigen Alkohol, konsumieren ihre neuen chemischen Drogen. Bereiten sich auf ihre Sucht vor. Ein paar davon werden irgendwann auch hier landen. Als ob der Bahnhof Herrenberg eine Endhaltestelle wäre 😉. Ok. Strategie… Was könnte man anders machen? Was könnte eine Stadt dazu bringen, sich dieses Problem noch genauer anzusehen? Der Bahnhof ist ein Sucht-Hotspot. Es wird nicht nur konsumiert. Etwas Neues? Bestimmt nicht. Das passiert hier seit 30 Jahren oder länger. Jeder weiß es. Und trotzdem, Herrenberg ist so ein schönes Städtchen. Sucht jedoch, ist ein Problem, das auch andere Städte haben. Im Sommer ist es halt verstärkt sichtbar. Und wenn man sich mitten unter sie begibt.

Warum suche ich Gemeinschaft mit diesen Menschen? Nenne sie Freunde? Und nicht Klienten. Wie ich schon sagte. Keiner wird zurückgelassen. Was für ein hehres Ziel. Ist es wirklich umsetzbar? Die Szenerie gestern. Ich könnte wetten, dass ein Teil der anwesenden Personen in absehbarer Zeit in die Obdachlosigkeit abrutschen. Ein paar werden auch sterben. Kann man etwas verhindern, was scheinbar unausweichlich ist? Was kann man tun, wenn die Droge so viel Raum einnimmt und der gesunde Menschenverstand nicht mehr arbeitet? Klar ist, dass die Depression folgt. Die Party geht nicht ewig. Wann ist der Zeitpunkt gekommen, an dem ein Mensch seine Situation verändern will? Und Veränderung ist nicht das, was Menschen anstreben. Auch in dieser Situation ist es eine Sicherheit, ein Gefühl, trotz aller unwürdigen Umstände, noch die Kontrolle zu haben (die längst verloren ist). Besser als Veränderung? Ist es vielleicht das Fehlen einer Vision, einer Hoffnung, die stärker ist als die Angst vor Veränderung? Wohin soll sich denn etwas ändern? Die Erfahrungen, die jemand schon gemacht hat, gescheiterte Beziehungen, Verluste und so weiter, sind starke Erinnerungen und sie können Menschen dazu bringen, den Glauben an sich und den Glauben an andere Menschen zu verlieren. Und ich kann ihnen nur sagen: Das ist doch alles normal. Jeder hat negative Erfahrungen. Und doch tröstet das gar nicht.

Wir haben es mit Menschen zu tun, die den Glauben verloren haben. Den Glauben an Menschen zu verlieren, das kann ich verstehen. Wenn es das Einzige war, an das man glauben konnte, ist das fatal. Erwartungen werden enttäuscht und Menschen enttäuschen uns immer wieder. Das müsste uns alle zu unglücklichen Menschen machen. Diese Verlassenheit, dieser tiefe Schmerz steckt in jedem von uns. Manche Wunden heilen nie. Aber zum Glück gibt es das Vergessen. Doch im Gegensatz zu anderen Menschen, die in schweren Zeiten gute Erfahrungen gemacht haben, denen geholfen wurde, die gestützt und getröstet waren und die damit Krisen überwinden konnten, oder die einfach zum Glauben gefunden haben, mangelt es bei unseren Freunden vermutlich an diesen Beziehungen und am Glauben. Ihre nicht-süchtigen Beziehungen kenne ich zu wenig. Ihre süchtigen Beziehungen sind das, was die haben. Sie verbringen ihre Zeit zumeist mit anderen Süchtigen. Vermutlich sind genau das die einzigen Menschen, von denen sie sich akzeptiert fühlen.

Sind das die Menschen, die meine Nächsten sind? Offensichtlich. Was kann ich tun? Moni, Sascha, Lisa, Beate, Peter, und jeder einzelne. Was können wir als Verein tun? Wir können uns auf sie einlassen. Wir können in ihnen das entdecken, das Gott in sie gelegt hat. Ich möchte mich einlassen und doch will ich meine Grenzen erkennen. Die Grenzen der Hilfe, die ich bieten kann und will und die Grenzen der Hilfe, die angenommen wird. Es sind verschiedene Welten. Unsere „heile“ Welt und dann, zum Beispiel Bahnhof, Schießmauer. Und es ist eine Welt. Ich möchte manchmal sagen ein Königreich. Und möchte mit daran bauen. Nicht als Architekt. Einfacher Hiwi auf dem Bau sein. Was jeder Einzelne daran wirkt, ist immer das Nächste. An seinen Nächsten denken?

Wo zieht man die Grenze, wer ist kein Nächster mehr? Das ist wirklich nicht so schwer zu beantworten, glaube ich. Irgendwie erwarten wir doch, dass der Staat diese Aufgaben macht. Und wenn nicht der Staat, dann doch wenigstens die Kirche. Und ich glaube auch, dass Staat und Kirchen Dinge erledigen, von denen man nichts mitbekommt. Wie groß wäre wohl die Not ohne diese Institutionen? Doch auch Mitarbeiter bei Gemeinden kommen an ihre Grenzen. Das müssen nicht einmal finanzielle Grenzen sein, sondern es können Strukturen sein, fehlende Konzepte und dann natürlich auch fehlende Mitarbeiter. Die Human Ressource ist nicht unendlich. Es braucht Menschen, die sich für Kinder, Familien, Senioren, Menschen mit Handicaps, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Suchtproblematik und so weiter kümmern. Dabei geht es nicht um Transferleistungsempfänger, sondern um Menschen. Unterschiedliche Bedürfnisse? Im Einzelnen sicher, aber insgesamt geht es um die Grundlagen einer solidarischen Gesellschaft. Keine Teilung, obwohl es so einfach wäre. Wir leben auch kaum mehr in Zeiten, in der es dieses Gemeinschaftsgefühl gibt. Keine Fußball-WM, kein Mauerfall. Etwas universal einigendes könnte meiner Meinung nach die Erkenntnis sein, dass wir einen Schöpfergott haben und jeder Mensch Gottes Ebenbild darstellt. Doch das muss man einfach glauben. Es ist nichts, das man anordnen kann.

Ich erfahre, dass mich diese Arbeit verändert. Ich sehe aber auch Veränderung bei unseren Freunden. Ich sehe Veränderung in unserer Stadt. Es wird mehr registriert und angesprochen. Wir werden angesprochen. Manche lächeln und denken sich ihren Teil. Manche schütteln den Kopf. Aber es gibt auch Menschen, die froh sind, dass wir uns einsetzen, weil sie es nicht könnten. Sie würden gerne und können nicht. Das ist Ok. Das ging manchen Menschen, auch vom Brunch in der SV, früher so. Wir haben einfach auch unsere Vorurteile oder unsere Dünkel. Ich hielt mich (nicht offiziell, aber in mir drin) für besser als andere. Das hat mir nicht gefallen. Das ist ganz und gar nicht das, was Jesus, was die Bibel lehrt. Und genau das wollte ich ändern. Ob ich es geändert habe, oder Jesus oder der Heilige Geist, das weiß ich nicht. Doch es ist so. Ich spüre richtig Liebe für manche meiner Freunde. Mit anderen hadere ich noch. Sie sind in meinen Augen direkt arrogant. Völlig unbegründet. Völlig unreflektiert. Ist da etwas noch in mir, das das genauso reflektiert? Etwas, das ich ausklammere? Ganz bestimmt. Wieder andere kann ich nicht (noch nicht?) an mich ranlassen. Andere sehe ich nicht richtig an. Und darauf soll ich stolz sein? Ich will ja gar nicht stolz sein, sondern ich will, dass etwas fließt von der Liebe, dich ich erfahre zu den Menschen mit denen ich Begegnung habe. Stolz ist ein fehlerbehaftetes Konzept. Egozentriert.

Zum Glück bin ich nicht alleine, sondern habe gute Freunde, die auch lieben können. Wir ergänzen uns sehr. Alleine ist das nicht zu schaffen. Und dieses Ehrenamt ist etwas, was wir gerne auf uns nehmen. Jeder in seinem Umfang und nach seinen Kräften und Fähigkeiten. Das ist wirklich das Schöne daran. Und wenn wir nur zu zweit eine Veranstaltung bestreiten, und nicht so perfekt – die Hauptsache ist, das es gemacht wird. Da erwartet keiner einen Dank und man wird doch mit Dank überschüttet. Lasst uns geduldig sein. So eine Situation, wie gestern abend. Was kann man da tun? Nun, ich war, wenn auch nur kurz, präsent. Ich habe mit ein, zwei Leuten gesprochen, andere begrüßt, sie zum Grill Brunch eingeladen in die SV. Ich werde heute oder morgen noch mal vorbei schauen und darum bitten, dass der Alkohol beim Brunch eine untergeordnete Rolle spielt. Bisher hat das meistens funktioniert. Jetzt muss nur noch das Wetter mitspielen.