Die Würde des Menschen ist…..

Nee. Echt? Es ist doch alles OK. Wir leben im besten Deutschland aller Zeiten. Die Menschen sind glücklich. Wer arbeiten will, findet Arbeit. Armut ist ein soziales Konstrukt. So wie das Gender. Also eingebildet. Sucht ist etwas exotisches, man denkt eher an seine besten Rauscherlebnisse, ja eigentlich wäre so ein Rausch auch mal wieder schön. Wer behauptet, süchtig zu sein, will einfach nicht aufhören. Was ich kann, muss jeder können. Ein bisschen Disziplin, Selbstdisziplin kann doch nicht so schwer sein. Denkt man. Denken viele.

Grau ist jedoch alle Theorie und das Leben ist alles andere, als planbar. Manche planen trotzdem und generell ist es nicht verkehrt. Einfach in den Tag hinein leben, ist auch keine Lösung. Uns gelingen Dinge und wir schreiben ein Gelingen uns selbst zu. Stimmt das wirklich? Ein Konstrukteur plant, ein Architekt plant, sogar ein Chirurg plant. Gute Planung zahlt sich aus. Und trotzdem bleibt ein Restrisiko, es bleibt etwas Unbekanntes, das wir nicht berechnen können. Ein Skatspieler berechnet sein Blatt. Er (natürlich auch sie) berechnet Mitspieler, die restlichen Karten und die Verteilung. Sehr dynamisch, das Ganze. Trotz allem, selbst mit einem guten Blatt kann man das Spiel verlieren.

Wir alle, die scheinbar alles im Griff haben, die bisher jede Krise meistern konnten, sollten nicht überheblich sein. Wie oft scheitern wir hier? Wir erheben uns, wir erniedrigen andere. Wir sehen es nicht gleich und unmittelbar, aber wir werden schuldig und wir wissen es auch. Vielleicht ist es das, was uns das unangenehme Gefühl macht. Wir wissen es genau.

Menschenwürde. Hört sich schön an. Artikel 1 unseres Grundgesetz. Unantastbar. Warum spreche ich darüber. Warum Kritik? Nun, weil ich erlebe, dass unsere Freunde, die Menschen am Rand der Gesellschaft, diese Würde abgesprochen wird. Sie werden verachtet, sie sind mehr als ein Ärgernis. Außerdem sind sie nicht ästhetisch. Sie haben Gerüche, die man nicht riechen will. Sie rauchen. Sie saufen. Sie nehmen Drogen. Sie kosten Geld. Man entzieht ihnen die Kinder. Manche sind verrückt. Vor manchen hat man Angst. Manche sind sanft. Manche sind aggressiv. Die Meisten sind sanft. Zu sanft.

Jetzt ist scho wieder wos passiert…. , so beginnen Bücher von Wolf Haas. Kommissar Brenner, in dem der traurige Held, Misanthrop, oder eine Stimme aus dem Off durch die alptraumhafte Unterwelt kommentiert. Wiener Schmäh. Es wäre traurig-schaurig, wenn es nicht so traurig-real wäre. Die Notunterkunft in unserer kleinen Stadt hat gebrannt. Unser Frieder ist in seinem Zimmer verbrannt. Ich weiß nicht, ob er es mitbekommen hat, oder schon durch den Rauch erstickt ist. Wäre er wach gewesen, er hätte den Flammen gar nicht entrinnen können. Ich sah ihn eine Woche zuvor, wie er nur mit äußerster Kraftanstrengung seine Tür aufdrücken konnte. Sein körperlicher Zustand war prekär. In der Zeitung las ich, er sei 59 Jahre alt. Er sah wie 70 aus. Er war immer freundlich, wenn er angesprochen wurde, hat dabei gelächelt. Wenn er mit seinem mit Plastikblumen verzierten Survival-Rollator in Herrenberg unterwegs war. Mit Blumen verziert. Ein Blumenkind. Es hätte die ganze Notunterkunft abbrennen können. Durch irgendeine Fügung war jemand wach, morgens um halb vier. Die Bewohner wurden von ihm aus dem Schlaf getrommelt und gerufen. Polizei und Rettungskräfte kamen vor Ort. Unsere Bewohner wurden wundersam gerettet.

Dann beginnt ein (eher beiläufig) trauriges Kapitel. Frieder Ohmenzetter ist gestorben. Hätte ich nicht Alarm schlagen müssen? „Hey, da ist ein Mann, der kriegt sein Leben nicht auf die Reihe.“ Wem hätte ich es sagen können? Wer hätte es hören wollen? Hätte man nicht gesagt, „Jeder hat das Recht auf Verwahrlosung“? Hätte man vielleicht mit den Schultern gezuckt und wie Louis de Funes ein „Bou“ durch die Lippen entgleiten lassen? Nein. Bestimmt nicht. Wir leben doch immer noch im besten aller Deutschlands. Ist der tragische Tod des Frieder O. ein Kollateralschaden? Kopfschüttelnd möchte ich dies bejahen.

Ich denke an das Lied von Maeckes. Mac Rip, dem Mash Up von Portisheads White Horses. Ich werde traurig. Sehr traurig. Wenn sich jemand diese Trauer ein wenig vorstellen möchte, hier ist der Track:

https://youtu.be/KxGD0evnVFU

Unsere Freunde, die Menschen der Schießmauer 4 wurden erst mal bei der Feuerwehr untergebracht, die Notunterkunft war keine mehr. Jetzt wurden Lösungen gesucht, wo man diese Menschen unterbringen kann. Die Stadt Herrenberg konnte nichts anbieten, aber zum Glück hatte das Landratsamt freie Zimmer in den Asylunterkünften. Zimmer mit zwei Personen belegen, macht acht Zimmer. Wohnungen mit zwei oder drei Zimmern mit ohne nix. Keine Töpfe kein gar nix. Musste erst noch organisiert werden. Dank an die Stadt und die zuständigen Sachbearbeiter. Sowas kommt ja nicht alle Tage vor. Aber es gibt jetzt neue Erfahrungen. Vielleicht wird ein Notfallplan für die Notunterkunft erstellt. Kann ja jederzeit wieder brennen. Weiß man’s? Wir haben unsere Leute gleich besucht, Samstag früh. Erst mal finden. Nette Eritäerin kennengelernt. Kaffee, Brötchen, Wurst, Käse, Butter. Erst mal frühstücken. Später hat Freunde e.V., unser Verein, bei einem weiteren Besuch noch mehr vorbei gebracht. War ja nix da. Und das Monatsende noch nicht in Sicht.

Wäre ja jetzt erst mal ok. Leider wurden unsere Freunde innerhalb der Asylunterkünfte noch mal umquartiert. Vielleicht waren zwei Männer pro Zimmer zu wenig. Drei geht doch auch. Super. Besser, als auf der Straße. Vielleicht ging es auch um Kosten, die die Stadt Herrenberg an das Landratsamt zahlen muss. Hoffentlich nicht. Oder es wurden neue Gäste in den Unterkünften erwartet und man wollte sie vor unserem Klientel erst mal schützen. Nee, nicht wirklich. Weiß man’s? Jedenfalls kann man diesen Männern zumuten umzuziehen und zu dritt zu wohnen. Ist doch nur kurz. Die Feuerwehr gibt doch das Gebäude bestimmt frei. Wann? Einige Stellen vertraten die Ansicht, Freitag abend. Andere waren für Samstag abend. Egal. Diese Menschen möchten nicht herumgeschoben werden. Sie möchten ein Zuhause. Selbst ein Zuhause, in dem die Säuberung der Brandstätte noch nicht abgeschlossen ist. Ein Zuhause, in dem die eigene Würde nicht weiter verletzt wird. Sehr, sehr traurig.

Heute waren wir da. Die mobile Vesperkirche hat kochen lassen. Und nicht nur für unsere ärmsten Mitbewohner. Aber auch nicht für die Reichsten. Jedenfalls waren wir vor Ort. Wolfgang Gerullis hat das Essen gespendet und Fisch mit Kartoffelsalat und Salat zubereitet. Nach und nach wurden uns die Türen geöffnet. Die Essen wurden dankbar und freudig angenommen. Das ist keine Hilfe ala „ah da kommen die schon wieder“. Diese Gabe ist ein Hoffnungsträger. Die Bewohner stehen immer noch sichtlich unter Schock. Einer unter ihnen, Peter, äußerte seinen Wunsch, hier raus zu kommen. Doch wie lautet der Titel eines Buches von Jim Morrison von den Doors einst: „Keiner kommt hier lebend raus“ . Möge er bitte unrecht haben!

Wir führten Gespräche und trösteten. Sprachen Hoffnung aus. Beate versprach, für Peter die Papiere in Ordnung zu bringen. Und blickten auf das verbrannte Zimmer. Ich sagte ihnen meine erste Regel. Die Regel Nummer 1: Bringt euer Haus in Ordnung! Was ist wirklich essentiell? Was ist mein Job? Wo brauche ich Hilfe. Ich kann es nicht sagen, ohne mögliche Gefühle zu verletzen. Es sind Gefühle. Und auch wir haben Gefühle. Aber hier geht es um das Überleben. Punkt.

Ich möchte von der Stadt konkret wissen, welche Perspektiven diese Menschen haben. Was kann die Stadt tun, um die Aufenthaltsdauer in der Notunterkunft zu begrenzen. Welche Hilfen braucht die Stadt? Werden Gelder vom Bund oder vom Land bereitgestellt, die beantragt werden? Kann die Stadt niederschwellige Angebote organisieren, (bitte ohne politische Indoktrination), sondern praktische Lebenshilfen. Wie kommen diese, unsere Leute wieder in die Mitte der Gesellschaft? Was können wir tun? Was kann jeder Einzelne tun? Wir suchen ja schon lange nach einem Haus und mehr, um noch direkter helfen zu können.

JEDES LEBEN IST WERTVOLL

Uns Christen möchte ich zurufen: Jesus wäre mitten unter ihnen gewesen. Dieses Evangelium ist kein Wohlstandsevangelium. Ein Wohlfühlevangelium. Es gab auch damals vor 2000 Jahren Dreck und Elend. In Matthäus 26:6 war Jesus in Bethanien im Haus Simons des Aussätzigen. Oder lest mal Lukas 7:22 als Impuls. Blinde werden sehend, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören (wir?), Tote werden auferweckt, Armen wird das Evangelium verkündet. Diese Worte Jesu stehen nicht umsonst in dieser Bibel. Sie sollen unser hartes Herz erreichen.