Beziehung

Erst Beziehung, dann Erziehung. Sagt meine Lisa. Und recht hat sie. Heute wäre unser Brunch-Godi gewesen. Corona kam wieder mal dazwischen. Die olle Schabracke.

Unsere Gemeinde brauchte den Saal für ihre Mitgliederversammlung. Schade. Musste wegen 21:00 Lockdown, Einschluss auf heute verschoben werden. Weil die Maßnahmen alle gut sind und wir um 21:00 zu Hause sein müssen, brauchten sie kurzfristig einen Ausweichtermin.

Zum Glück ließ sich der Frühling heute endlich blicken. Es war sonnig. Nur ein paar Flugzeuge am Himmel, die irgendeinen Dreck versprühten. Wir haben einen Tisch aufgestellt und unsere Vespertaschen dort verteilt. Nach und nach kamen unsere Gäste und wir mussten erklären, dass heute kein Gottesdienst stattfindet. Gut, viele kommen nicht wegen des Gottesdiensts. Heute, waren nicht nur Menschen aus Nagold, Reutlingen oder Stuttgart angereist, um eine liebevoll gestaltete Vespertasche zu erhalten. Rene kam als Vertreter der Schießmauer. Lili hat dieses Mal gekocht. Zusätzlich gab es Kaffeepulver, ein Stück Hefezopf, ein bißchen Süßes. Beate hat sich sehr ins Zeug gelegt. Vielen Dank dafür.

Vor der Gemeinde auf der Straße kam es zu Gesprächen mit unseren Gästen. Es wurden natürlich Informationen ausgetauscht. Wie es dem oder dem geht. Das ist wichtig. Gerade jetzt, wo Carlos im Krankenhaus ist und es ihm nicht so gut geht.

Jeder weiß es. Jedem ist klar, dass es so kommen musste. Aber was können wir anderes tun als zuzuschauen? Es ist kein Tratsch. Wir mögen ihn. Wir mögen auch die anderen Kandidaten, die ihre Lage nicht mehr selbst überschauen, geschweige denn sich selbst einfach Hilfe zu holen. Einfach kapitulieren. Stattdessen wird jeder nüchterne Moment sofort mit Alkohol ertränkt. Ich vermute es ist Scham. Oder Ekel vor sich selbst. Das ganze Ausmaß des Versagens. Alles hat einen Preis. Der Preis der Sünde ist der Tod.

Dabei sind auch Menschen mit einem ähnlichen Problem und ähnlichen Umständen in der Lage dieses Gefühl des Versagens auszuhalten. Sucht ist eine Krankheit. Und je weiter sie fortschreitet, desto verheerender ist sie und umso aussichtsloser scheint eine Umkehr.

Alles geht um Verdrängung. Ich glaube, Menschen können alles verdrängen. Einerseits brauchen wir diese Fähigkeit, um zu überleben. Wenn jede Art Schmerz, egal ob von Fremden zugefügt oder selbst verursacht nie verschwinden würde, könnten wir gar nicht weiterleben. Wir schützen uns und können weiter gehen. Es ist gesund. Allerdings ist die Verdrängung in der Sucht alles andere als gesund. Es ist Schuld. Die Droge wird vom Teufel benutzt, um den Menschen zu versklaven. Ein Süchtiger ist ein Sklave und der Teufel möchte die Seele des Menschen in Sklaverei und Elend halten. Nur so kann er sie davon abhalten, nach Gott zu streben, zum Schöpfer, was natürlich wäre. Denn wir sehnen uns nach Gott. Eine Trennung von Gott wäre unser Tod.

Unser Vater wartet mit offenen Armen. Er leidet, wenn ein Mensch so gefangen ist. Er möchte, dass wir frei sind. Darum sagte er zu Moses, dass er sein Volk aus Ägypten führen soll, damit sie frei seien. Und wir wollen lieber wieder zurück nach Ägypten. Freiheit bedeutet Anstrengung, Selbstreflektion. Sie muss erarbeitet, erkämpft werden. Ja, das Manna hängt einem zum Hals raus. Jeden Tag. Immer das Gleiche. Und dann kommt Satan und lockt mit Worten: Ägypten war doch gar nicht so übel. Der Wodka verschafft dir Erleichterung. Das Kokain holt dich wenigstens mal raus aus dem Alltag. Und wenn du es richtig anstellst, dann hast du es immer zur Verfügung. Die anderen sind alles Langweiler. Keinen Durchblick. Du küsst den Himmel. Ist das nicht das Beste?

Im Rückblick sehen viele, dass es genauso abläuft. Und die, die mitten drin stecken, glauben nicht, dass etwas diese Erleichterung, diese chemischen Gefühle ersetzen kann. Und Jesus schon gar nicht. Und Gott? Wenn es ihn gibt, warum lässt er das überhaupt zu? Wenn überhaupt, schaffe ich es, weil ich es will. Und wann ich will. Diese Kraft, es aus sich selbst heraus zu schaffen, hat kein Mensch. Wir brauchen andere Menschen und eine übernatürliche Kraft. Ich nenne sie Jesus. Gott.

Wie ging es weiter? Die übrigen Vespertaschen fuhren Lisa und ich zur Schießmauer. Wir trafen Alex, Michael, noch einen Alex, Olaf. So konnte alles verteilt werden.

Wie gesagt, es war ein wunderschöner Tag und ich wollte Zeit mit meiner Frau verbringen. In den Garten und Fahrradfahren. Das eine oder das andere. Wir entschieden uns für beides.

So sind wir über Gültstein, Mönchfeld, Waldfriedhof zu unserem Garten im Luiglen gefahren. Kurz vor der Luiglenquelle trafen wir Rene und Ewald, die sich mit anderen oben am Alten Rain treffen wollten, um ein wenig zu grillen und ein oder zwei Bier zu trinken.

Ich nutzte die Gelegenheit, um Ewalds Handy endlich komplett bei ALDI zu registrieren, damit er endlich auch on the line ist. Ich erstellte einen Hotspot und konnte so die Emails mit ALDI checken und bestätigen.

Dann fuhren wir weiter zum Garten und ich arbeitete ein wenig, machte ein Feuer, stellte den Grill auf und grillte ein paar Oberländer. Lisa grillte Zucchini. Sehr spartanisch. Aber spontan. Wir hörten meine Musik aus dem Anker. Es war wunderschön. Momente, die unsere Ehe auch mal wieder brauchte.

Leider hatte ich mein Hofbräu vergessen und eigentlich wollte ich mich für meine Arbeit mit einem Bier belohnen. Das habe ich mir verdient. Ich kam auf die Idee, zum Alten Rain zu fahren, um von Rene oder Ewald ein Bier zu holen. Mit dem E-Bike ist das kein Problem. Ich fahre gerne Berge. Und so traf ich auf die versammelte Mannschaft. Eine illustre Runde war da beisammen. Ich kam gleich ins Gespräch, ich war unter Freunden. Ich konnte Informationen zur Bundesliga liefern. Bayern lag 2:0 hinten. Das Bier trank ich gleich dort. Natürlich war Carlos auch hier ein Gesprächsthema. Und Sascha und und und…

Lisa konnte ich natürlich nicht allzu lange warten lassen, sie genoß die Sonne, die Ruhe, ihr Buch. Ich verabschiedete mich bei allen und dachte mir später, dass diese Gruppe Menschen ihre Beziehungen pflegen. Man achtet einander, macht Witze übereinander. Ich fühlte mich richtig wohl. Unter Freunden.