Beggars Banquet

Samstag, 20. März 2021, 10 Uhr, Kalkofenstr. 55, Herrenberg. Ich kam eine Stunde vor dem Brunch-Godi, um das Mischpult zu bedienen. Neues Mischpult. Viele Knöpfe und Regler und ich, wenig Erfahrung. Improvisieren.

Elke, Moni und Stefan wollten heute den musikalischen Rahmen bieten und probten ihre Lieder. Mein Job war es, es einigermaßen harmonisch klingen zu lassen. Wie gesagt, ein neues Mischpult.

Während unten noch gebetet wurde, kamen schon die ersten Gäste. Wie üblich registrierten wir jeden einzelnen, das übernahm Sascha. Unsere Gäste konnten auch neue Masken bekommen, denn es musste Mundschutz getragen werden. Die Gäste nahmen Platz. Es füllte sich merklich. Viele neue Gesichter. Interessant. Viele kannte ich nicht.

Micha fragte zur Begrüßung, wo sie denn alle her sind: Esslingen, Stuttgart, Böblingen, Bondorf und Herrenberg. Es ist schon erstaunlich, dass unser Brunch-Godi so viel Zulauf hat. Und erfreulich. Und wir waren überrascht.

Elke moderierte ein wenig und sang mit Moni ein paar Lieder, während Stefan Gitarre spielte. Welch ein Genuss. Ein richtig guter Musiker. Ok, ich mag Gitarrenmusik sowieso.

Micha begann seine Predigt mit Moses, der fliehen musste, weil er einen Ägypter erschlagen hatte. Er erzählte weiter, dass Gott aber einen anderen Plan mit Moses hatte und ihn zurück nach Ägypten schickte. Klar, kennen manche. Kann man nachlesen. Es war die Art, wie Micha sprach. Wie wir reagieren würden, wenn wir die Stimme Gottes hören würden, der uns einen Auftrag geben würde, der völlig anders als unser Plan wäre. Ja, Gott schickte ihn zurück nach Ägypten zum Pharao, um ihm zu sagen dass er sein Volk aus der Sklaverei ziehen lassen soll. Super Idee. Und Moses ging zurück und zum Pharao. Pharao hatte aber keine Lust. Also mussten erst die ganzen Plagen Überzeugungsarbeit leisten, bis hin zur letzten, dass alle Erstgeborenen getötet würden. Aber die, die daran glaubten, dass Gott die schützt, deren Haustüren mit Blut vom Lamm bestrichen werden, wurden gerettet. Klar doch.

Es funktionierte. Denjenigen, die nicht glaubten, wurden die Erstgeborenen getötet. Auch den Erstgeborenen vom Pharao. Dann endlich ließ der Pharao Moses Volk ziehen. Die flohen und kamen zum Roten Meer. Hier ging es offenbar nicht weiter. Und Pharaos Truppen kamen hinterher. Auswegslos? Und wieder so ein Rat Gottes: Halt deinen Stab vor dich her und das Wasser teilt sich. Klaro. Super. Und Moses tat das und sie konnten trocken hindurch. Die Ägypter kamen hinterher und ertranken, weil das Wasser über sie hereinbrach.

Das tolle war, dass Micha einen Bogen zu Jesu Blut spannte. Zum Passahfest, zu Ostern. Passah vom Auszug Ägyptens, dem Fest der Juden, an dem Jesus auch vor seiner Hinrichtung teilnahm. Brot – Leib, Wein – Blut. Wer an Jesu Blut glaubt, dem Lamm Gottes, wird gerettet werden.

Ich weiß nicht, wie viele die Predigt von Micha richtig verfolgt haben. Vielleicht kamen manche nur wegen der Vespertüte. Manchen sah man die Not an, in der sie leben. Vielleicht ist eine Vespertüte wirklich ein kleiner Teil ihres täglichen Plans, ihres Überlebensplans. Vielleicht leben sie prekär genug, um jede Hilfe jeder Gemeinde im Großraum Stuttgart zu suchen, um Geld einzusparen, damit die Stromrechnung bezahlt werden kann oder den Teil der Miete für den die Rente nicht mehr reicht. Moderne Glücksritter, Überlebenskünstler, Survivalspezialisten. Und vielleicht haben manche nicht einmal den Glauben an einen Gott, der barmherzig ist. Ein Gott, den wir Vater nennen.

Aber vielleicht gibt es unter den vielen, die heute kamen, einen Mensch, dem die Worte von Micha oder die Lieder der Brunch-Godi-Band ein Trost waren, eine Ermutigung, oder ganz praktisch einen weiteren Tag Überleben.

Klar haben wir mit mehr Freunden aus Herrenberg gerechnet. Heute konnten wir noch nicht einmal Taschen in die Schießmauer bringen. Außer Dietmar hat es keiner geschafft. Manche schaffen es einfach nicht mehr. Nein, sie werden darum nicht verhungern. Aber der kurze Besuch mit 🎁, mit der kleinen, gewohnten Aufmerksamkeit hat eine andere Wirkung, über Kalorien hinaus. Beate hat mit ihrer charmanten und doch sachlichen Art darauf hingewiesen, warum wir die Namen registrieren, dass sie nach vier Wochen geschreddert werden, und dass wir die Daten in unserem Verein brauchen, Einverständniserklärungen zum Beispiel, um Kontakt mit unseren Gästen zu halten oder aufzubauen.

Ich wünsche mir, dass der gestrige Samstag noch mehr Menschen anzieht, dass Hunderte kommen und das Wort des Lebens hören. Dies ist mein Leib für euch gegeben. Dies ist mein Blut für euch vergossen.

Thomas, der gestern Geburtstag hatte, sagte zu mir, er würde gerne mal einen Gottesdienst gestalten. Hoffentlich nicht mit Diddel-Liedern. Oder doch?

Also kommt die Botschaft doch an. Vielleicht ist die Form noch nicht zu 100% gefunden. Vielleicht ist die Not noch nicht groß genug. Wer weiß? Vielleicht, wenn wieder Normalität kommt, ohne Angst vor einer Administration, dem unsichtbaren Feind, der das zwischenmenschliche Leben reglementiert, verhindert oder zerstört, indem er Regeln erstellt, die unter Strafandrohung eingehalten werden müssen. Unterwerfung nenne ich das und das habe ich aus Gesprächen herausgehört. Diese Menschen leiden darunter.

Nur weil wir funktionieren, oder besser funktionieren, müssen wir so und so handeln. Außerhalb gelten andere Regeln. Außerhalb gäbe es ein Bankett. Die Hochzeit, zu der nur die Bettler erscheinen, weil alle anderen achtsam sind oder geschäftig. Wenn wir nicht feiern wollen, dürfen andere das auch nicht. Thomas, in deiner Gemeinde, in unserer alten Gemeinde, gäbe es dein Fest. Es gäbe das Wort, die gute Botschaft und es gäbe das Festmahl.

In früheren Zeiten hätten wir eine Brunchtafel gerichtet, wir hätten unsere Freunde und Gäste bedient. Wir hätten noch innigere Gemeinschaft, doch das geht nicht mehr, damit das Gesundheitssystem nicht überlastet wird. Für mich persönlich ist es jedes Mal eine Herausforderung. Ich fühle mich körperlich unwohl mit Maske. Ich atme ungesund. Es gibt richtig und falsch. Es fühlt sich jedes Mal falsch an. Aber ich tue es, damit ich mich mit unseren Gästen treffen kann, die noch viel größere Nöte haben, als ich. Und trotzdem: Aktuell haben wir im Kreis Böblingen einen Patienten mit irgendeiner Lungenkrankheit, möglicherweise dieses Covid oder ein Mutant auf einer Intensivstation. Stand in der Zeitung. Das nennt man Pandemie. Meine These: Erst mal Lockdown bis Juni oder Juli. Dann Klimalockdown. Dann wieder Lockdown im Herbst. Das geht dann bis 2025. Mindestens.
Trotz dieses Umstandes, meiner persönlichen Befindlichkeit, fand ich im Rahmen der derzeitigen Umstände, dass wir einen Blick auf das zukünftige aufgezeigt haben. Das zukünftige Jerusalem. Bis dahin leben wir nicht in einem perfekten Universum.