Baustellen

Baustellen. Überall Baustellen. Echte Baustellen. Echte Menschen bauen etwas.

Unser Leben ist auch eine einzige Baustelle. Von der Geburt bis ins Grab. Gibt es überhaupt Zeiten, in denen wir einfach nur leben, anstatt ständig irgendwas zu reparieren,  oder zu optimieren?

Ab einem bestimmten Alter sollte man eine gewisse Routine erreicht haben. Feuer ist heiß. Wasser ist nass. Das muss ich nicht jeden Tag neu lernen. Viele Dinge wiederholen sich. Immer das gleiche. Aufwachen. Eigentlich bin ich froh, wach zu sein. Ich bin froh, zu leben. Manchmal danke ich Gott gleich beim ersten Gedanken, dass ich noch lebe. Oft aber auch nicht. Fehlt dieser Fokus, dann bin ich wichtiger. Der Tag ist nicht in Gottes Händen. Manchmal geht an diesen Tagen gar nichts. Hier hilft wieder Routine. Morgendliche Rituale, wie gemeinsames Beten. Es ist so wichtig, Gott, den Schöpfer, in den Fokus zu setzen. Schma Jisrael. Aber manchmal ist es unmöglich. In so einem Zustand bete ich auch nicht gern und lasse es bleiben. Emotionen können mächtige Routinen sein. Ich will das nicht.

Auf der Fahrt ins Büro hilft mir Musik, meine Emotionen zu steuern. Ich liebe gute Musik. Und manchmal bete ich noch bei der Fahrt. Finden Fokus, wie Mr. Miyagi sagen würde.

Bei der Arbeit hilft Routine ebenfalls. Auch hier wiederholen sich Dinge und man kann von der Erfahrung profitieren. Wenn der Tag mit dem Segen Gottes anfing, ist der Arbeitstag auch gesegnet.

Spätestens bei der Rückfahrt höre ich wieder Musik. Playlist. Manchmal singe ich einfach mit. Freue mich auf den Feierabend.

Die Zeit nach Feierabend ist eigentlich meine eigene Zeit. Sofern das als Ehemann und Vater geht. Zwar sind die Kinder jetzt alle junge Erwachsene und auch selbst Eltern, aber Vater bin ich auch für sie, oder möchte es sein. Besonders für meinen bedürftigen und süchtigen Sohn.

Nach Feierabend sollte ich Dinge tun, die mir gut tun: Freunde treffen, ins Gym gehen, oder einfach mit meiner Frau einen Spaziergang machen. Familie und Hobbies. Sehr gediegen. Kleine Freuden. Aber bitte keine Emotionen. Im Sommer, draußen, fühle ich mich wohl. Die Natur und die Schöpfung lassen mich Gott preisen. Doch manchmal bin ich introvertiert. Ist das meine Baustelle? Gefangen oder verloren in Emotionen. Es passiert immer wieder. Ein Streit oder einfach eine Laune. Oder ist es Gottesferne? Ich möchte Gott nahe sein. In seinem Frieden leben.

Ins Bett zieht mich dann wenig. Sobald ich schlafe, ist nichts existent. Die Welt nicht. Ich nicht. Ich träume lieber am Tag. Nachts, im Schlaf, bin ich tot wie ein Stein.

Das Wochenende. Samstag. Meine Routinen sind klar. Markt, Müll, Einkaufen. Danach Brunch oder Samstags-MAHL-Zeit. Fest eingeplant. Danach Zeit mit Freunden oder auch mal chillen. Es muss erholsam sein. Gut kochen. Lecker essen. Nicht zu viel Alkohol. Das ist Entspannung. Kraft tanken.

Früher sind wir auch auf Konzerte gegangen. Jetzt nicht mehr. Macht absolut keinen Spaß. Corona killed the radio star.

Baustelle: Zu viele Gedanken. Zu viele Informationen. Wissen und verstehen. Warum ist die Welt so (gottlos?), wie sie ist? Warum habe ich (scheinbar) mein Leben im Griff (oder Jesus?), während es um mich herum auseinander bricht? Leben in Gottes Gegenwart scheint mir die Lösung. Das Himmelreich. Aber das geht nicht mit einer Vollkasko-Mentalität. Gott sollte der Mittelpunkt sein. Sonst laufe ich Gefahr, immer nur mich selbst zu sehen. Lost in emotions. Wie geht’s mir? Gott ist kein Dienstleister.

Baustelle: Wie kann man weniger egoistisch sein? Das Ego braucht Emotionen. Sieht man in der Werbung. Im Film. Szenenwechsel. Sofort wieder vergessen, neues Bild, neue Emotion. Alice in Wonderland.

Gott ist nicht emotional. Gott ist unwandelbar. Ewig. Ein Wort ist ein Wort. Einmal, im alten Testament, reute es Gott, und er änderte seine Absicht. War glaub bei Moses. Gott ist treu. Er hält den ewigen Bund. Er ist barmherzig. Und so vieles mehr. Alles. Man muss einfach glauben. Ein kindlicher Glaube. Ich bin klein, mein Herz ist rein. Warum nicht?

In der Familie geht es um Treue. Es geht um Loyalität. Es geht um Vertrauen. Wenn das Fundament nicht vorhanden ist, wie kann dann eine Familie bestehen? Wie sollen Kinder sich sicher fühlen und orientieren können? Wenn wir Eltern versagen, wie können unsere Kinder bestehen?

Verdiene ich Vertrauen? Habe ich gute Entscheidungen getroffen? Ist auf mich Verlass? Bin ich Gott treu? Bin ich aufrichtig? Bin ich demütig? Bin ich würdig? Bin ich authentisch oder spiele ich nur eine Rolle? Wie gehe ich mit Menschen um? Mit meinen Nächsten?

Unser Glück war, dass wir zu Jesus gefunden haben. Wir kennen das Leben und die Welt vorher und wie es jetzt ist. Wir können also ziemlich gut vergleichen und auch ein bisschen verstehen, wie Menschen ticken, die (noch) nicht glauben. Ich habe mit meiner Frau einen Menschen, der mir vieles verzeiht. Ich kann mit ihr viele Dinge teilen, die ich mit kaum einem anderen Menschen teilen kann. Musik, Theater, Filme, Menschen. Besonders unsere Liebe zu unseren Freunden. Es ist ein Segen. Es ist, als ob wir von einem Geist geleitet sind. Als ob diese Aufgabe uns gegeben wurde, um Gottes Liebe zu zeigen. Offenbaren klingt zu pathetisch.

Keine Ahnung, ob wir von unseren Freunden ernst genommen werden. Jemand meinte neulich, sie lachen über uns. Zocken uns nur ab. Vielleicht war das Neid und sehr subjektiv. Ich weiß es nicht. Man wird verlacht. Na und? Was ich tue, ist authentisch. 100%. Ich sage, was ich denke und dass ich an Jesus glaube. Für unsere Freundin Gayathiri aus Sri Lanka sind wir die Hallelujah – People. Für unsere Katze sind wir Dosenöffner. Für unsere Freunde wollen wir einfach nur Freunde sein.

Unsere Baustellen: Wir lernen erst. Viel zu spät haben wir zum Glauben gefunden. Keiner meiner vier Söhne folgt Jesus nach. Sie leben in der Welt. Sie orientieren sich an der Welt. Zwei meiner Söhne haben ein Drogenproblem. Die anderen zwei leben ihr Leben, der eine fängt gerade an, gerade Abitur geschafft. Der andere ist verheiratet. Beide wählten das gute Erbe. Ehrlich, vertrauensvoll. Doch manchmal denke ich, sie würden es mir verübeln, dass Karl sehr viel meiner Sorge bekommt und sie leer ausgehen. Kann sein. Aber das kann nur sein, weil sie selbst noch keine Eltern sind. Es ist wie mit den neunundneunzig Schafen und dem einen verlorenen Schaf.

Oder 98 und 2. Denn auch mein Ältester hat sich noch nicht entschieden, ein Leben ohne Drogen zu leben. Frei zu sein. Freiheit, die ich meine. Ohne Abhängigkeit. Er ist schon 39 geworden. Ich würde ihn gerne mehr sehen oder ihm meine Liebe zusichern. Aber was nützt meine Liebe ohne den Frieden, den Shalom, der durch den Glauben kommt? Was ist mit den ganzen Enttäuschungen, die sich in den Jahren aufgebaut haben? So viel Schuld. So viel Unvergebenes. Wie kann ohne Vergebung Erlösung geschehen? Es wird nicht passieren. Die Einheit, die wir einmal waren. Ich mit meinen Kindern, als sie klein waren, mit absolutem Vertrauen und Gewissheit, geliebt zu sein.

Meine Kinder, und unsere Freunde und du und ich: Wir leiden alle an dem Mangel. Ich und Lisa und andere, die glauben, vielleicht weniger. Es ist eine Illusion, zu glauben, wir leben ein Leben völlig selbstbestimmt, mit eigenen Regeln. Kein Herzschlag, kein Atemzug geschieht ohne unseren Schöpfer. Er erhält uns und die Welt sowieso.

Es liegt alles in Gottes Hand und wir haben unser Leben Gott übergeben. Meine Söhne sind in vielem, wie unsere Freunde. Jahr für Jahr Hamsterrad. Es ist frustrierend. Nicht mehr und nicht weniger. Meine Lieblings-Baustelle. Die Baustelle unserer Kinder und unserer Freunde. Wir wollen einfach da sein. Teilhaben. Wenn wir helfen können, tun wir das. Wir kommen mit Essen, wir haben ein Ohr für ihre Bedürfnisse und Nöte. Eine Brille, ein Handy, eine Waschmaschine, eine Bettdecke. Materielle Dinge. Und da sind andere Bedürfnisse. Einfach in den Arm nehmen. Miteinander beten. Miteinander weinen. Einander trösten. Einander Mut machen. Den Feind vertreiben, der uns klein macht, der uns auseinander dividiert. Der Feind, der mit der Droge Erleichterung und Linderung verspricht und den Tod liefert.

Für Karl haben wir eine Wohnung besorgt. Gerade ohne Strom. Altlasten. Wir wollen, dass er sich um Dinge selbst kümmert und Probleme selbst löst oder sich Hilfe holt. Zeitnah. Zwischendurch hat er Hoffnung gespürt, dass es besser wird. Er hat gelernt und Kurse gemacht, um eine berufliche Perspektive zu bekommen. Er ist erst 25. Da geht noch was. Der Plan ist jetzt, dass Entgiftung ansteht. In der Zwischenzeit ist ein Vakuum. Er ist kein Kind. Er trifft seine eigenen Entscheidungen. Es ist nicht einfach, aber auch nicht hoffnungslos.

Großbaustelle. Wenn ich unsere Freunde sehe, dann denke ich, auch sie brauchen einen Plan. Einen Plan aus der Sucht. Einen Plan aus der Notunterkunft. Es geht nicht um schöner wohnen. Es geht um einfache Schritte. Babyschritte. Manche würden alleine oder betreut lebend andere Entscheidungen treffen. Ei oder Henne? Brauchen wir zuerst Wohnungen/Wohnformen und dann die Suchtfrage? Oder muss das kombiniert werden? Ein richtiges Konzept. Maßnahmen, vom Jobcenter, wie Waldhaus und auch DAA sind eigentlich gut, aber es fehlt die Vernetzung. Ganzheitliche Ansätze. Viel umfassender. Wohnung, Sucht, Überschuldung, Betreuung gehört alles zusammen. Für das Thema Wohnen wäre ebenfalls ein ganzheitlicher Ansatz notwendig. Eigene Wohnung, betreutes Wohnen, oder auch Heimunterbringung. Eine radikalere Form, ich glaube, in Österreich gibt es so etwas, wäre etwas, wie ein Gnadenhof, ein Weg, menschenwürdig zu leben und sterben. Die Suche in Google zeigt nur Gnadenhöfe für Tiere an.

Wir hoffen, dass sie sie eher zu Jesus finden. Ihr Leben neu leben. Ohne Schuld. Ohne den Ballast, des Versagens. Ohne den Hunger, ohne den Mangel, den sie versuchen, mit Drogen zu füllen. Und werden immer leerer. Für sie ist es in ihrer Situation einfach nicht denkbar, dass sie je mit der Hilfe des Glaubens ein neues und besseres Leben beginnen können.

Lisa und ich machen weiter Seelsorge, obwohl wir keineswegs ausgebildet sind. Seelsorge, wie vor ein paar Jahren Elsbeth und Richard. Die einfach gekommen sind, Hand angelegt haben, buchstäblich den Kot von den Wänden gewaschen haben. Und wir möchten diese Arbeit weiterführen. Wir versuchen, die Dimension der Rettung deutlich zu machen. So wie die Dinge hier seit Jahren laufen, ohne Ausweg, ohne Hoffnung, möchten wir (nicht nur) unseren Freunden ein Rettungsanker sein. Die letzte Rettung ist für uns Jesus.

Viele dieser Baustellen sind verwaist. Keine Arbeiter. Aber es muss endlich gearbeitet werden. Gerne würden wir, von Freunde e.V. kommen und sagen, morgen ziehen wir um. Morgen kümmern wir uns um euch. Allein, es liegt nicht in unserer Hand. Wir können es einfach nur abgeben. Einfach beten. Für eine kleine Erweckung. Muss ja nicht so groß sein. Für unsere Freunde, unsere Söhne, Brüder und Schwestern, die schwach sind, für jeden, der leidet, körperlich und seelisch. Baustellen eben.